Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht
Strafrechtstheorie
Unabhängige Forschungsgruppe
Die Forschungsgruppe „Strafrechtstheorie“ widmet der Analyse des Straf- und Strafprozessrechts und seiner Dogmatik mit Blick auf die zugrundeliegenden normativen Strukturen und Prinzipien, um diese auf ihre Kohärenz, Begründbarkeit und Überzeugungskraft hin zu überprüfen. Ziel ist es, hierauf aufbauend normative Theoriebildung zu betreiben, die Lösungsvorschläge für strafrechtliche Probleme auch jenseits positivrechtlicher Vorgaben unterbreitet. Hierzu bedarf gleichermaßen der Rückbindung an die Dogmatik und Praxis des Strafrechts wie auch der Einbindung anderer Wissenschaften, insb. der praktischen Philosophie.
Die Forschungsgruppe ist offen für Forschungsprojekte zu allen „klassischen“ Fragen der Strafrechtstheorie, wie etwa nach der Rechtfertigung staatlicher Strafe, nach dem Wesen strafrechtlichen Unrechts, den Grenzen staatlicher Strafbefugnis oder nach den Anforderungen an strafrechtliche Verantwortlichkeit. Im Schwerpunkt widmet sich die Arbeit der Forschungsgruppe jedoch folgenden drei Forschungsthemen:
Theorie subjektiver Zurechnung
Was eine Straftat von anderen Normverstößen in erster Linie unterscheidet, ist die subjektive Zurechnung, denn Verantwortungszuschreibungen im Strafrecht beruhen auf bestimmten inneren Einstellungen und Zuständen des Täters. Wie wir diese jedoch zu konzeptualisieren haben, ist unklar. Nicht nur gerät in der deutschen strafrechtswissenschaftlichen Diskussion das traditionelle Verständnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit zunehmend ins Wanken. Auch finden wir außerhalb der deutschen Strafrechtsdogmatik alternative Beschreibungsmodelle der subjektiven Tatseite. Die Forschungsgruppe untersucht jenseits nationaler Dogmatik die faktischen sowie normativen Grundannahmen der subjektiven Zurechnung. Dabei werden zum einen Erkenntnisse anderer Wissenschaften, insb. der praktischen Philosophie, einbezogen. Zum anderen wird der Austausch mit der anglo-amerikanischen strafrechtstheoretischen Diskussion zur mens rea gesucht, um diskursive Ähnlichkeiten und Unterschiede zu identifizieren und Ansätze für eine transnationale Theorie subjektiver Zurechnung zu entwickeln.
Relationalität des Verbrechens
Traditionell betrachtet die Strafrechtstheorie das Verbrechen als Unrecht, das sich normativ allein im Verhältnis von Täter und Staat vollzieht, der durch Strafvorschriften bestimmte Güter vor Verletzung schützen möchte. Demgegenüber wird die Forschungsgruppe ein alternatives theoretisches Beschreibungsmodell entwickeln, nach dem Kriminalunrecht sich nicht in der Schädigung eines staatlich geschützten Rechtsguts erschöpft, sondern primär relational zu konzipieren ist, d.h. ausgehend von der Verletzung der Ansprücheanderer auf Ausbleiben solcher Schädigungen. Diese neue Theorie des Verbrechens soll es zum einen ermöglichen, Verbrechen als Verletzung individueller Rechte und zugleich der Rechtsgemeinschaft zu beschreiben. Zum anderen sollen hierdurch neue Kriterien für die Kriminalisierung von Verhaltensweisen, die subjektive Zurechnung sowie die Opferbeteiligung im Strafverfahren entwickelt werden.
Strafrecht im Zeitalter der Vernunft
Wie kaum ein anderes Jahrhundert prägte die Zeit von 1730–1830 unser heutiges Verständnis vom Strafrecht: Zum einen entwickelten sich im Zuge der Aufklärung das moderne deutsche Strafrecht und die Strafrechtslehre als eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Zum anderen fanden wichtige „theoretische Weichenstellungen“ statt, die nicht nur in der heutigen Strafrechtsdogmatik latent fortwirken, sondern auch bis heute Referenzpunkt für die strafrechtstheoretische Debatte (sei es etwa in Fragen der Kriminalisierung oder der Strafbegründung) sind. In der Forschungsgruppe wollen wir zum einen die „weißen Flecken“ auf der Landkarte der Strafrechtstheorie des 18. Jahrhunderts beseitigen. Zum anderen loten wir kritisch das Potential aus, das Autoren und Ideen dieser Zeit für die gegenwärtige Strafrechtstheorie zukommen kann.
Theodor W. Adornos „Sexualtabus und Recht heute“, publiziert 1963, war eine treffende Intervention in der öffentlichen Debatte über den Wandel der Sexualmoral in den 1960ern. Vor dem Hintergrund einer Kritik repressiver bürgerlicher Sitten wie auch fortschrittlicher Auffassungen von Sex stellt der Essay die Vermutung an, dass das utopische…
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Das Projekt untersucht einerseits die Menschenrechtsgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Interamerikanischen Menschenrechtskonvention sowie die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes in der durch die jeweilige Rechtsprechung geformten Gestalt dahingehend, inwieweit durch sie Opfern von Straftaten subjektive Rechte auf…
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Trotz der umfangreichen Literatur zu Rechten, Pflichten, Verantwortung und Strafen wird der normative Begriff des Unrechts häufig nur nebenbei behandelt. Dieses Projekt zielt darauf ab, die nonchalante theoretische Einstellung gegenüber Unrecht, normativen Fehlern, Ungerechtigkeiten – all jenem also, was im Englischen als wrong zusammengefasst…
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Die Strafbarkeit der unbewussten Fahrlässigkeit wird in der deutschen Strafrechtswissenschaft seit langem hinterfragt, wobei die Debatte in den letzten Jahrzehnten weitestgehend zum Erliegen gekommen scheint. Mehrheitlich wird der status quo der Strafbarkeit mit einem (rein) normativ begründeten Schuldvorwurf verteidigt. Bei genauerem Blick…
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Ernst Ferdinand Klein zählt zu den bedeutenden Figuren der deutschen Spätaufklärung. Als Philosoph, als Strafrechtswissenschaftler und als Justizreformer hat er im ausgehenden 18. Jahrhundert nicht nur den wissenschaftlichen Diskurs auf diesen Gebieten prägend mitgestaltet, sondern als Publizist auch die öffentliche Meinungsbildung zu…
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Max Horkheimer wird als Rechtstheoretiker kaum wahrgenommen, obwohl seine Schriften, ausgehend vom spannungsreichen Verhältnis zwischen politischer Gewalt und ihrer juristischen Form, eine innovative Analyse des Rechts beinhalten. Einerseits sei Recht Herrschaftsmittel, eingesetzt zum Zwecke, die Macht mancher Menschen über andere zu stärken…
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Wie ist das Verhältnis zwischen Recht und Moral? Wendet die Rechtsphilosophie lediglich allgemeine moralische Grundsätze auf bestimmte Umstände an, die die Notwendigkeit des Rechts und seiner Institutionen begründen? Oder hat das Recht eine eigene Art von Normativität, die nicht auf die Moral reduziert werden kann? In der gegenwärtigen Forschung…
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Das Projekt Rights in Criminal Law will aus interdisziplinärer Perspektive neue Antworten auf zwei Zentralfragen der Strafrechtsphilosophie geben: Wem geschieht Unrecht, wenn Straftaten begangen werden? Und warum? – Nach gängiger Auffassung in der deutschsprachigen wie auch anglo-amerikanischen Wissenschaft spielt sich Kriminalunrecht im Verhältnis…
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Viele LeserInnen der Grundlinien der Philosophie des Rechts halten Hegels Straftheorie für ein Musterbeispiel des Retributivismus. Es gibt jedoch heterodoxe Stimmen, die Hegels Argument mit konsequentialistischen und in vergangenen Jahren auch mit expressivistischen Rechtfertigungen in Verbindung gebracht haben. Immer mehr ForscherInnen vertreten…
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Das Aufkommen von zweit-personalen bzw. relationalen Konzeptionen der Moral ist eine der bedeutendsten Entwicklungen der zeitgenössischen Ethik in den letzten 25 Jahren. Obwohl viele verschiedene Theorien unter dieser Bezeichnung zusammengefasst werden, stimmen sie im Allgemeinen darin überein, dass Moral das betrifft, „was wir einander…
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Bewusst hochriskantes Verhalten wird in der deutschen Strafrechtsdogmatik streng dichotom entweder als bedingt vorsätzliches oder bewusst fahrlässiges Verhalten erfasst, obgleich hiermit Probleme mit Blick auf den Vorsatznachweis im Prozess sowie eine unrechts- und schuldangemessene Bestrafung einhergehen. Zwar fehlt es nicht an Kritik an der…
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§ 16 I StGB ordnet die vorsatzausschließende Wirkung von Tatsachenirrtümern an. Es gibt insofern keine Möglichkeit, Vorsatzunrecht anzunehmen, wenn der Täter den Tatumstand nicht kannte – egal, ob er dies selbst verschuldet hat oder nicht. Dies kann kriminalpolitisch unbefriedigend sein. Im angloamerikanischen Raum kann gemäß der Doktrin…
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Sowohl die rechtliche als auch die alltägliche Verantwortungszuschreibung beruhen auf einer rationalistischen, naiven Psychologie, die menschliches Handeln als ein durch epistemische und optativische Zustände verursachtes Verhalten interpretiert. Die unterschiedlichen Grade der rechtlichen wie alltäglichen Zurechnung von Verantwortung entsprechen…
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Aus strafrechtlicher Sicht gibt es das Konzept der „vorsätzlichen Unkenntnis“ (“willful blindness” oder “conscious avoidance”) – in unterschiedlichen Formen und Begriffen – in verschiedenen Rechtsordnungen. In der Regel handelt es sich dabei um Personen, die absichtlich Informationen ignorieren oder vermeiden, die ihnen normalerweise hätten klar…
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Ziel dieses interdisziplinären Forschungsprojekts ist es, den seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland geführten Streit um eine retributive oder präventive Strafbegründung, deren wirkmächtigste Protagonisten Kant, Fichte und Hegel waren, aus heutiger Sicht aufzuarbeiten und dabei kritisch das Potential auszuloten, das diesen Autoren für…
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Richard Martin Honig (1890–1981) ist in der Strafrechtswissenschaft aufgrund seines bahnbrechenden Beitrags „Kausalität und objektive Zurechnung“ in der Festgabe für Frank (1930) vor allem als einer der Wegbereiter der Lehre von der objektiven Zurechnung bekannt, die inzwischen zum strafrechtsdogmatischen Allgemeingut geworden ist. Der…
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