
Strafrechtstheorie
Unabhängige Forschungsgruppe
Die Forschungsgruppe „Strafrechtstheorie“ widmet der Analyse des Straf- und Strafprozessrechts und seiner Dogmatik mit Blick auf die zugrundeliegenden normativen Strukturen und Prinzipien, um diese auf ihre Kohärenz, Begründbarkeit und Überzeugungskraft hin zu überprüfen. Ziel ist es, hierauf aufbauend normative Theoriebildung zu betreiben, die Lösungsvorschläge für strafrechtliche Probleme auch jenseits positivrechtlicher Vorgaben unterbreitet. Hierzu bedarf gleichermaßen der Rückbindung an die Dogmatik und Praxis des Strafrechts wie auch der Einbindung anderer Wissenschaften, insb. der praktischen Philosophie.
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Forschungsthemen
Die Forschungsgruppe ist offen für Forschungsprojekte zu allen „klassischen“ Fragen der Strafrechtstheorie, wie etwa nach der Rechtfertigung staatlicher Strafe, nach dem Wesen strafrechtlichen Unrechts, den Grenzen staatlicher Strafbefugnis oder nach den Anforderungen an strafrechtliche Verantwortlichkeit. Im Schwerpunkt widmet sich die Arbeit der Forschungsgruppe jedoch folgenden drei Forschungsthemen:
Theorie subjektiver Zurechnung

Was eine Straftat von anderen Normverstößen in erster Linie unterscheidet, ist die subjektive Zurechnung, denn Verantwortungszuschreibungen im Strafrecht beruhen auf bestimmten inneren Einstellungen und Zuständen des Täters. Wie wir diese jedoch zu konzeptualisieren haben, ist unklar. Nicht nur gerät in der deutschen strafrechtswissenschaftlichen Diskussion das traditionelle Verständnis von Vorsatz und Fahrlässigkeit zunehmend ins Wanken. Auch finden wir außerhalb der deutschen Strafrechtsdogmatik alternative Beschreibungsmodelle der subjektiven Tatseite. Die Forschungsgruppe untersucht jenseits nationaler Dogmatik die faktischen sowie normativen Grundannahmen der subjektiven Zurechnung. Dabei werden zum einen Erkenntnisse anderer Wissenschaften, insb. der praktischen Philosophie, einbezogen. Zum anderen wird der Austausch mit der anglo-amerikanischen strafrechtstheoretischen Diskussion zur mens rea gesucht, um diskursive Ähnlichkeiten und Unterschiede zu identifizieren und Ansätze für eine transnationale Theorie subjektiver Zurechnung zu entwickeln.
Relationalität des Verbrechens

Traditionell betrachtet die Strafrechtstheorie das Verbrechen als Unrecht, das sich normativ allein im Verhältnis von Täter und Staat vollzieht, der durch Strafvorschriften bestimmte Güter vor Verletzung schützen möchte. Demgegenüber wird die Forschungsgruppe ein alternatives theoretisches Beschreibungsmodell entwickeln, nach dem Kriminalunrecht sich nicht in der Schädigung eines staatlich geschützten Rechtsguts erschöpft, sondern primär relational zu konzipieren ist, d.h. ausgehend von der Verletzung der Ansprüche anderer auf Ausbleiben solcher Schädigungen. Diese neue Theorie des Verbrechens soll es zum einen ermöglichen, Verbrechen als Verletzung individueller Rechte und zugleich der Rechtsgemeinschaft zu beschreiben. Zum anderen sollen hierdurch neue Kriterien für die Kriminalisierung von Verhaltensweisen, die subjektive Zurechnung sowie die Opferbeteiligung im Strafverfahren entwickelt werden.
Strafrecht im Zeitalter der Vernunft

Wie kaum ein anderes Jahrhundert prägte die Zeit von 1730–1830 unser heutiges Verständnis vom Strafrecht: Zum einen entwickelten sich im Zuge der Aufklärung das moderne deutsche Strafrecht und die Strafrechtslehre als eigenständige wissenschaftliche Disziplin. Zum anderen fanden wichtige „theoretische Weichenstellungen“ statt, die nicht nur in der heutigen Strafrechtsdogmatik latent fortwirken, sondern auch bis heute Referenzpunkt für die strafrechtstheoretische Debatte (sei es etwa in Fragen der Kriminalisierung oder der Strafbegründung) sind. In der Forschungsgruppe wollen wir zum einen die „weißen Flecken“ auf der Landkarte der Strafrechtstheorie des 18. Jahrhunderts beseitigen. Zum anderen loten wir kritisch das Potential aus, das Autoren und Ideen dieser Zeit für die gegenwärtige Strafrechtstheorie zukommen kann.