Abteilung Kriminologie

Forschungsprogramm

Die Abteilung Kriminologie hat sich zum Ziel gesetzt, als Quelle innovativer Ideen das Fachgebiet voranzubringen sowie globaler Knotenpunkt interdisziplinärer Forschung zu sein. Aktuell erhalten drei Forschende in der Abteilung Kriminologie prestigeträchtige Förderung durch den Europäischen Forschungsrat, einmal im Rahmen der Förderlinie ERC Consolidator Grant, und zweimal durch ERC Starting Grants.

Drei Achsen bzw. wissenschaftliche Schwer­punkt­be­rei­che strukturieren das Forschungsprogramm: 1.) Theore­ti­sche Innovation, 2.) Methodische Innovation & Technologie, 3.) Umsetzung der Kriminalwissenschaft in die Praxis.

1. Theoretische Innovation

Die Kriminologie ist durch ihre Interdisziplinarität ein empirisch dynamisches und an Theorien reiches Fachgebiet, das auf verschiedene Disziplinen zugreift. Ihre größte Stärke, die Diversität, kann jedoch aufgrund der Gefahr theoretischer und empirischer Fragmentierung auch zu ihrer Achillesferse werden. Zu den zentralen Herausforderungen für die Krimi­no­lo­gie zählt die Überwindung einer ihrer Hauptdivergenzen ‒ nämlich der zwischen den dispositionellen Erklärungs­ansät­zen, die kriminelles Verhalten auf individuelle Unterschiede in der Persönlichkeit zurückführen, und den soziogenen Ansätzen, die die Hauptursachen für Kriminalität in kriminogenen Umfeldern und situationsbedingten Faktoren verorten. In der Summe legen bisherige Erkenntnisse nahe, dass beide Erklärungen wichtig sind. Ausschlaggebend sind daher wis­senschaftliche Ansätze, die diese Erklärungen verbinden können, um so einen Gesamtüberblick zu erhalten, der die Ursachen, die Entwicklung und die Kontinuität kriminellen Verhaltens einschließt. Dieser Schwerpunktbereich widmet sich der Theorieentwicklung aus einer integrativen und interdisziplinären Perspektive, zum Beispiel durch Unter­su­chun­gen der Wechselbeziehung zwischen Kontextfaktoren und den Faktoren auf individueller Ebene zur Erklärung von Krimi­na­li­tät. Die Forschung greift in diesem Bereich auf reichhaltige empirische und theoretische Traditionen in der Krimi­no­lo­gie zurück, aber erweitert sie durch das Hinzuziehen anderer Bereiche wie der Evolutions- und Persönlichkeits­psycho­lo­gie, Verhaltensökonomie und Computerwissenschaft ‒ Bereiche, die trotz ihres Potentials bislang in der Kriminologie nur begrenzt Anwendung gefunden haben.

2. Methodische Innovation & Technologie

Sorgfältig erstellte Fragebögen, ausgeklügelte Beobachtungs- und Interviewschemata und groß angelegte Studien mit Register- und Längsschnittdaten sind schon seit langem die herrschenden Ansätze zur Datensammlung in der empi­ri­schen Kriminologie. Mittels dieser Methoden hat der Forschungsbereich erhebliche Fortschritte im Verständnis von kriminellem Verhalten erzielt und ein quantitativ und qualitativ eindrucksvolles Niveau erreicht. Allerdings eignen sich die traditionellen Methoden der Datensammlung besonders zur Untersuchung von den Faktoren, die mit den Merkmalen von Straftätern zusammenhängen, die sie in und aus der Kriminalität führen, wie beispielsweise ihre jeweilige Dispo­si­tion, Familie und das Umfeld, aus dem sie kommen, ihre sozialen Netzwerke sowie ihr Bildungsweg und ihre kriminelle Laufbahn. Dagegen bieten sie methodenbedingt nur wenig Einblick in das zugrundeliegende Täterverhalten und in die Entscheidungsfindung.

Es ist jedoch hervorzuheben, dass die Betonung dieser vorwiegend retrospektiven Methoden zu einer grundlegend un­glei­chen Wissensverteilung führte. So wissen wir viel über die Tätermerkmale und die Lebensereignisse, die zur krimi­nel­len Karriere beitragen, was die Entscheidung für eine Straftat vorhersagt, wie Kriminelle in ihre Verbrechen abgleiten und was sie davon abhält. Aber wir wissen vergleichsweise wenig über den Tathergang selbst. Die Forschung in diesem Schwerpunktbereich beruht auf der Annahme, dass Fortschritte im Verstehen von Kriminalität und der Vorbeugung von Kriminalität kein „Weiter-so“ erfordern, sondern dass neue Wege gefunden werden müssen. Technologien wie Virtual Reality (VR), intelligente Maschinen, Sensoren, Smartphones und das Internet werden schnell zu einem immer einfluss­rei­cheren Bestandteil im Alltag der Menschen. Obwohl diese Technologien leicht zugänglich und forschungsrelevant sind, werden sie selten von Kriminologen genutzt. Um diese Lücke im Forschungsbereich zu füllen, widmet sich dieser Schwerpunktbereich der Anwendung neuer Technologien und innovativer Methoden in der Kriminalitätsforschung.

3. Umsetzung der Kriminalwissenschaft in die Praxis

In der Kriminologie fehlt eine wichtige Verbindung zwischen Theorie und Praxis. Kriminalitätsforschung und Theorie­bil­dung entwickeln sich weiter, ohne viel Notiz davon zu nehmen, was „vor Ort“ passiert. Andererseits schenken Strafjustiz und Resozialisierungsmaßnahmen vor Ort evidenzbasierten Interventionen oder Theorien wenig Beachtung. Der Maxi­me von Kurt Lewin folgend, wonach nichts so praktisch ist wie eine gute Theorie, hat sich der dritte Schwerpunktbereich der Abteilung Kriminologie vorgenommen, Theorie, innovative Methoden und Technologie mit Politik und Praxis zu ver­bin­den. Die Kriminologie ist letztlich eine angewandte Wissenschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, nicht nur das Auf­tre­ten von Kriminalität zu verstehen, sondern auch einen konkreten Beitrag dazu zu leisten, wie sie verhindert werden kann und wie ihre schädigenden Konsequenzen reduziert werden können. Die Forschung in diesem Gebiet nutzt den aller­neues­ten Wissensstand zur Entwicklung anwendungsorientierter Lösungen, indem sie beispielsweise zur Ausbildung von Praktikern im Strafrechtssystem (Polizei, Jugendsozialarbeit, Bewährungshilfe, Richter) beiträgt, Instrumente zur Verbrechensverhütung entwickelt und evidenzbasierte Rehabilitationsmaßnahmen erarbeitet.

Zur Redakteursansicht