Theodor W. Adornos „Sexualtabus und Recht heute“, publiziert 1963, war eine treffende Intervention in der öffentlichen Debatte über den Wandel der Sexualmoral in den 1960ern. Vor dem Hintergrund einer Kritik repressiver bürgerlicher Sitten wie auch fortschrittlicher Auffassungen von Sex stellt der Essay die Vermutung an, dass das utopische Potenzial von Intimität sich nicht trennen lässt von der Spannung, die Sexualität dem Selbst und der Gesellschaft einfügt. Der bekannteste Satz des Textes – „Ein Stück sexueller Utopie ist es, nicht man selber zu sein“ – verortet das Versprechen der Sexualität bereits in der momentanen Auflösung der Identität. In dieselbe Kerbe schlägt Adornos Argument, dass Sexualität trivial und träge werde, wenn ihr die anarchischen und exzessiven Aspekte genommen würden. Doch genau diese Aspekte ziehen gesellschaftliche Ächtung auf sich, weil „das im spezifischen Sinne Sexuelle eo ipso das Verbotene“ ist.
Im Anschluss an #MeToo und steigende öffentliche Aufmerksamkeit für Geschlechtergerechtigkeit, Transrechte und Identitätspolitik später regt „Sexualtabus und Recht heute“ gerade heute, sechzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, zu erneuter Beschäftigung an. In einer Sonderausgabe des Journal of Adorno Studies werden internationale ExpertInnen in kritischer Theorie, Rechtstheorie und Psychoanalyse das theoretische Potenzial und die Limitationen von „Sexualtabus und Recht heute“ in unserer Zeit untersuchen.
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