Verantwortung für Nichtwissen? Perspektiven auf Willful Ignorance und Tatsachenirrtümer
Aus strafrechtlicher Sicht gibt es das Konzept der „vorsätzlichen Unkenntnis“ (“willful blindness” oder “conscious avoidance”) – in unterschiedlichen Formen und Begriffen – in verschiedenen Rechtsordnungen. In der Regel handelt es sich dabei um Personen, die absichtlich Informationen ignorieren oder vermeiden, die ihnen normalerweise hätten klar sein müssen, um sich vor Haftung oder Strafverfolgung zu schützen.
In der einen oder anderen Form muss sich jedes Rechtssystem mit dem Phänomen auseinandersetzen, dass Menschen versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen, indem sie sich auf Unwissenheit berufen. Wie mit diesem Phänomen umgegangen wird, ist jedoch unterschiedlich: In vielen Rechtsordnungen des Common Law kann eine Person beispielsweise so behandelt werden, als habe sie trotz eines Irrtums über Tatsachen oder Umstände wissentlich gehandelt. Das paradigmatische Beispiel ist der Fall einer Person, die auf einem Flughafen von einem Fremden gebeten wird, einen mit Drogen gefüllten Koffer an sich zu nehmen. Wenn die Person den Inhalt des Koffers nicht kennt, aber zustimmt, ihn mitzunehmen, ohne den Inhalt zu überprüfen, gilt sie als vorsätzlich unwissend und ist strafrechtlich verantwortlich. Wie aber lässt sich die Zurechnung von Vorsatz an einen Beschuldigten rechtfertigen, der aus bloßer, wenn auch vermeidbarer Unkenntnis gehandelt hat?
Nach deutschem Strafrecht beispielsweise schließt jeder Irrtum über Tatumstände den Vorsatz aus – es ist unerheblich, ob der Irrtum von der Person verschuldet ist oder nicht. Es ist denkbar, dass die Konstellation der vorsätzlichen Unkenntnis durch den dolus eventualis abgedeckt wird. Ungeachtet der Existenz des dolus eventualis hat Spanien jedoch einen anderen Weg eingeschlagen und die Lehre von der “willful ignorance” in die spanische Strafrechtsdoktrin übernommen. Es kann argumentiert werden, dass das spanische Beispiel als Blaupause für andere kontinentaleuropäische Rechtsordnungen dienen kann, falls die Konzepte der vorsätzlichen Unkenntnis und des dolus eventualis unterscheidbar sind.
Zur Untersuchung des skizzierten Problems werden wir eine internationale und interdisziplinäre Tagung ausrichten, die Forschende unterschiedlicher Disziplinen sowie des kontinentalen und anglo-amerikanischen Rechtskreises zu dieser Frage versammelt. Ausgehend von diesem im September 2024 stattfindenden Workshop werden die Autorinnen und Autoren die Probleme selbstverschuldeter Tatsachenunkenntnis in einem international sichtbaren Sammelband diskutieren.
Forschungsergebnis: | Tagung und Tagungsband |
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Projektsprache: | Englisch |
Grafik: | © Dall-E |