Geheime Beweismittel im Strafverfahren

Geheime Beweismittel im Strafverfahren

Neben politisch motivierter Gewalt und feindseligen Staaten ist Europa heute zunehmend mit profit­orientierter or­ga­nisierter Kriminalität konfrontiert, welche in global agierende kriminelle Netzwerke eingebunden und zugleich in der Gesellschaft ver­ankert ist. Angesichts der Anpassungsfähigkeit transnationaler krimineller Organisationen und ihrer Fähigkeit, offene Grenzen auszunutzen und Gemeinschaften zu infiltrieren, setzen Behörden zunehmend auf verdeckte Ermittlungsmaßnahmen, um Kriminalität aufzudecken und – noch mehr – um diejenigen zu iden­ti­fi­zie­ren, die im Hintergrund die Strippen ziehen. Die Zunahme verdeckter Maßnahmen als kriminalpolitisches In­stru­ment und nicht zuletzt eine insofern verstärkte Rolle von Geheimdiensten stellen jedoch erhebliche Herausfor­derun­gen an die Fairness des Strafverfahrens. Denn verdeckte Methoden und vertrauliche Beweisquellen können oft nicht offengelegt werden, ohne die Ermittlungen und die Sicherheit von Zeugen zu gefährden, wodurch aller­dings die Fähigkeit von Gerichten und Angeklagten eingeschränkt wird, belastende Beweise zu hinterfragen.
Das vorliegende vergleichende Projekt versucht, diese Herausforderungen anzugehen, indem es Wissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern zusammenbringt und auf der Grundlage der dabei gefundenen Er­kennt­nisse politische Lösungen entwickelt, um den prozessualen Umgang mit heimlich erlangten Beweisen zu verbes­sern. Es untersucht für das Strafverfahren sowie für damit verbundene präventive Maßnahmen den bisherigen Um­gang mit geheimen verfahrensgegenständlichen Informationen, die gegenüber der Verteidigung nicht offengelegt werden. Das Projekt ist dabei nicht zuletzt von der Einführung von Verfahren in einigen nationalen und supra­na­tio­na­len Rahmen inspiriert, welche eine Anwendung restriktiver Maßnahmen gegen Verdächtige auf der Grundlage von Informationen ermöglichen, die ihnen und ihren Rechtsbeiständen zu keinem Zeitpunkt offengelegt werden. Die Analyse orientiert sich daher insbesondere an der Frage, ob bzw. inwieweit nationale Rechtsordnungen bereits heute, möglicherweise ohne dies ausdrücklich anzuerkennen, Verfahrensmechanismen eingeführt haben, die es Strafgerichten ermöglichen, bei der Verurteilung oder der Verhängung von Präventivmaßnahmen vertrauliche In­for­mationen zu berücksichtigen, von denen die Verteidigung keine Kenntnis erhält. Basierend auf den ver­glei­chen­den Erkenntnissen der untersuchten Rechtsordnungen und einer Analyse der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sollen in den Projekten letztlich Wege entwickelt werden, wie Strafverfahren auf die Zunahme großer Sicherheitsherausforderungen reagieren und gleichzeitig jene Fairness wahren können, die letztlich die Legitimität sowie die moralische Glaubwürdigkeit der Strafjustiz ausmacht.

 

Forschungsergebnis: Sammelband (2021)
Projektsprache: Englisch
Projektstatus: abgeschlossen
Bild: © MPI-CSL

 

Publikation

Vogel, B. (Hrsg.). (2021). Secret evidence in criminal proceedings: balancing procedural fairness and covert surveillance (Bd. S 173) Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht: Strafrechtliche Forschungsberichte. Berlin: Duncker & Humblot.

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