Projekt "Ausnahmeregelungen und andauernde Aus­nah­me­zustände nach der EMRK"

Ausnahmeregelungen und andauernde Aus­nah­me­zustände nach der EMRK

Artikel 15 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ermächtigt die Mitgliedstaaten zur Aussetzung der Menschenrechte im Falle eines Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstands. Von dieser Ausnahme­rege­lung wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach Gebrauch gemacht, wobei die Gründe sehr unterschiedlich wa­ren: Seit 2015 wurde die Notstandsklausel angewendet in Reaktion auf Terrorismus, militärische Aggression, ei­nen versuchten Staatsstreich, eine globale Pandemie, eine Energiekrise und eine Naturkatastrophe. Es gibt zwei Merkmale, die viele dieser Krisen und Notstände gemeinsam haben. Erstens: Sie sind langanhaltend. Bereits bei Inkrafttreten der EMRK 1953 gab es Krisen, die das Merkmal der Permanenz aufwiesen, ein Beispiel dafür ist Ter­ro­rismus. Eine zukünftige Krise, die langanhaltend sein könnte, ist der Klimawandel. Zweitens: Die Krisen sind zu­neh­mend vernetzt, das heißt, es handelt sich um Phänomene, die durch die Globalisierung entstanden und geför­dert wurden und meist mehrere Staaten involvieren, was es erheblich erschwert, die Entwicklung vorherzusehen. Beispiele hierfür sind Migration und globale Pandemien.
Bei modernen Krisen besteht aufgrund ihrer Permanenz und Vernetztheit die Gefahr, dass der Schutz der Men­schen­rech­te immer länger ausgesetzt wird. In diesem Dissertationsprojekt wird daher untersucht, ob Artikel 15 EMRK auch ein Konzept für langanhaltende und vernetzte Krisen ist und ob er gegebenenfalls angepasst werden kann. Dabei wird zum einen beleuchtet, wie in der Vergangenheit mit Dauerkrisen in nationalen Kontexten um­ge­gan­gen wurde, zum anderen, wie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und die einschlägige wissenschaftliche Literatur diese Fragen behandeln. Durch die Anwendung der hermeneutischen Standards auf die Auslegung der EMRK versucht das Projekt eine Doktrin für Artikel 15 EMRK zu entwickeln und das Verständnis für die komplexen Überschneidungen der Rechtsprechung in den Bereichen Menschenrechte und öffentliches Sicherheitsrecht zu erweitern.
Das Projekt steht insbesondere im Einklang mit der ersten und der dritten Achse der Forschungsmatrix der Ab­tei­lung, die sich mit den rechtstheoretischen und dogmatischen Grundlagen wie auch den Herausforderungen für Demokratie und Menschenrechte beschäftigen. Das Projekt wird nicht nur die Eignung von Artikel 15 EMRK für langfristige und vernetzte Krisen, sondern auch die Umsetzbarkeit konkurrierender dogmatischer Auslegungen und die Zweckmäßigkeit weiterer Kontrollmechanismen zur Regelung künftiger Ausnahmen von der Konvention evaluieren.

 

Forschungsergebnis: Dissertation an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und der Universität Genf (2023–2025)
Projektsprache: Englisch
Foto: © Erik Kroon/Unsplash

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