Identity Controls at ‘Dangerous Places’

Statistiken als Instrument gegen Diskriminierung

Die deutschen Black-Lives-Matter-Proteste sowie wiederkehrende Berichte über rechtsextreme Polizei-Chat-Gruppen und Racial Profiling haben zu einer ver­stärk­ten Diskussion über strukturellen Rassismus innerhalb der deutschen Polizei­behör­den geführt. Obwohl rassistische Diskriminierung nach Art. 3 Abs. 3 GG verboten ist, ist der Rechtsweg gegen Diskriminierung mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden. So ist es unwahr­schein­lich, dass die Beamtin offen zugibt, im Rahmen ihrer Entscheidung über eine Identitätsfeststellung an die Hautfar­be angeknüpft zu haben. Zwar wurde als Beweiserleichterung die Rechtsfigur der „mittelbaren Diskriminierung“ eingeführt, doch ist auch diese schwer nachzuweisen. Insbesondere bei Ungleichheiten, die gesamtgesell­schaft­lich übersehen oder gar geleugnet werden, scheinen Antidiskriminierungsstatistiken notwendig zu sein, um die ungleichen Auswirkungen zu beweisen. Aufgrund knapper zeitlicher und finanzieller Ressourcen und der feh­len­den Einsicht in offizielle Entscheidungs- und Kontrollpraktiken ist es jedoch für Individuen kaum möglich, entspre­chen­de Statistiken zu erstellen. Anders als in Kanada und England erheben die deutschen Behörden keine Daten zur „Rasse“ oder „ethnischen Herkunft“. Obwohl das Innenministerium eine künftige Studie über Rassismus in­ner­halb der Polizei plant, sind Informationen über mögliche rassistische Kontrollpraktiken nicht zu erwarten.
In dieser Dissertation wird daher untersucht, ob der deutsche Staat verpflichtet ist, solche Antidiskrimi­nie­rungs­daten zu erheben, um die Durchsetzung der Grundrechte zu erleichtern. Diese Frage wird vor dem Hintergrund ereignisunabhängiger Personenkontrollen an sogenannten „gefährlichen Orten“ untersucht, die der Polizei auf­grund ihrer niedrigen Eingriffsschwellen einen weiten Ermessensspielraum einräumen. Auf der Grundlage von Analysen dieser gesetzlichen Regelungen und qualitativen sozialwissenschaftlichen Studien zu polizeilichen Kontrollpraktiken untersucht das Projekt zunächst das erhöhte Diskriminierungspotenzial dieser behördlichen Ermächtigungsgrundlagen. Anschließend wird eine dogmatische, antidiskriminierungsrechtliche Einordnung polizeilicher Kontrollpraktiken vorgenommen, bevor die rechtlichen Grundlagen für eine mögliche staatliche Verpflichtung zur Erstellung von Antidiskriminierungsstatistiken untersucht werden. Schließlich werden die rechtlichen Möglichkeiten und Risiken entsprechender Datensätze untersucht, einschließlich der statistischen Erfassung intersektioneller Diskriminierung und der möglichen Reproduktion von Stereotypen durch die Statistiken selbst.
Dieses interdisziplinäre Projekt, das im Zentrum des Forschungskomplexes der Abteilung Öffentliches Recht zur Bewältigung neuer und aufkommender Herausforderungen für die Grundrechte steht, stützt sich in hohem Maße auf dogmatische Analysen des Verfassungsrechts und eine sorgfältige Anwendung der empirischen Forschung zur polizeilichen Diskriminierung. Zu den erwarteten Ergebnissen gehören die Schärfung des Verständnisses der verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote und die Validierung von Statistiken als zuverlässige Methode zur Verbesserung des grundrechtlichen Schutzes vor Diskriminierung.

 

Forschungsergebnis: Promotion am MPI-CSL und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2019–2023)
Projektsprache: Deutsch
Foto: © Matt Popovich/Unsplash

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