Automatisierte Strafrechtsanwendung - ein Tabuthema?

Automatisierte Strafrechtsanwendung – ein Tabu­thema?

Große Sprachmodelle sind fortschrittliche Deep-Learning-Algorithmen, die Texte verstehen, zusammenfassen, über­setzen, vorhersagen und generieren können. Sie werden auf großen Datensätzen trainiert und können so men­schenähnliche Sprachfähigkeiten imitieren. In letzter Zeit haben diese Modelle auch außerhalb ihrer tradi­tio­nel­len Domäne, der Verarbeitung natürlicher Sprache, an Popularität gewonnen. Anwendungen wie ChatGPT haben ihre Vielseitigkeit und ihr Potenzial für eine breite Palette von Aufgaben bewiesen. Die Anwendung von großen Sprach­model­len für eine automatisierte Entscheidungsfindung im Strafrecht ist für viele jedoch noch ein Tabuthema. Das Projekt arbeitet die technischen und rechtlichen Voraussetzungen für eine autonome Beurteilung strafrechtlicher Sachverhalte durch KI-Systeme heraus. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend und erlauben weitere Unter­suchung der technischen und empirischen Elemente einerseits und der juristischen und theoretischen Reflektion andererseits.
Einfache Standardfälle im Strafrecht eignen sich aufgrund des schematischen Vorgehens und der Grenzen durch Geltung des Legalitätsprinzips und des Analogieverbots, um die technischen Möglichkeiten einer automatisierten Rechtsanwendung abzuklären. Das Projekt kann auf einzelne Delikte beschränkt und für eine quantitative Eva­lua­ti­on auf binären Output (strafbar/nicht strafbar) abstrahiert werden.
Auf Seiten der Strafverfolgung liegt gemäß diversen Berichten eine Überlastung vor, was dazu führen kann, dass Delikte gar nicht oder nicht mit der nötigen Zeit und Präzision verfolgt werden. Dies führt besonders im Straf­befehls­ver­fah­ren zu allfällig falschen Ergebnissen oder zu vielen nicht verfolgten Delikten, was aus gesell­schaft­li­cher, sowie auch aus Opfersicht problematisch ist. Auf Seiten der beschuldigten Person fehlt hingegen oft das rechtliche Verständnis für strafrechtliche Sachverhalte. Besonders bei „kleineren“ Delikten oder verhältnismäßig geringen Strafen führt dies dazu, dass die beschuldigte Person die Sach- und Rechtslage nicht überprüfen lässt (u.A. auch allein aufgrund des Kostenrisikos).
Der Einsatz einer unterstützenden KI im Bereich des Strafrechts wäre somit in verschiedener Hinsicht begrüßens­wert. Sollte aus dieser Dissertation ein in der Praxis einsetzbares Sprachmodell hervorgehen, kann es sowohl auf Seiten der Strafverfolgung für eine effizientere Arbeit als auch auf Strafverteidigungsseite für eine brauchbare Ersteinschätzung, und damit einen einfacheren Zugang zum Recht, genutzt werden.

 

Forschungsergebnis: Dissertation
Projektsprachen: Deutsch, Englisch
Zeitlicher Rahmen: 08/2023 – 07/2027
Grafik: © Mamak

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