Abteilung Öffentliches Recht – Forschungsprogramm

Abteilung Öffentliches Recht

Forschungsprogramm

Die Abteilung Öffentliches Recht befasst sich vorrangig mit Fragen der öffentlichen Sicherheit. Dabei sind drei thema­tische Achsen bestimmend. Auf der ersten sind die allgemeinen dogmatischen Grundstrukturen und rechts­theo­retischen Vorfragen des Sicherheitsrechts verortet. Aktuelle Entwicklungen innerhalb des Forschungsfelds – Internationalisierung, Digitalisierung und Fragmentierung – sollen entlang der zweiten Achse verhandelt werden. Auf der dritten liegen verfassungsrechtlich garantierte Schutzgüter, die das Potential haben, mit dem Ziel der Sicher­heit in Konflikt zu geraten: Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratieprinzip.
Die so konstruierte Forschungsmatrix dient dazu, ein – im Vergleich zu traditionelleren Topoi des öffentlichen Rechts – international bislang unterbeleuchtetes Forschungsfeld zu strukturieren, indem sie als flexibler Refe­renz­rahmen für unsere wissenschaftliche Arbeit dient. Manche unserer Arbeiten werden sich klar einer For­schungs­achse zuordnen lassen; andere werden Bezugspunkte auf zwei oder allen drei Achsen haben. Beispiels­wei­se befasst sich das rechtstheoretische Projekt zu Deep Disagreements mit den epistemischen, meta-ethischen und methodischen Auswirkungen unauflösbarer Meinungsverschiedenheiten auf Politik und Recht. Es behandelt rechtstheoretische Fragestellungen anhand der Phänomene einer tieferliegenden Fragmentierung. Die Matrix selbst wird sich mit den Projekten weiterentwickeln: Unsere Forschungsergebnisse werden sie zum Teil bestä­ti­gen, zum Teil Anpassungsbedarf hervorrufen.

1. Grundlagen: Rechtstheoretische Fragen und dogmatische Strukturen

Die Forschungsprojekte auf der ersten thematischen Achse beschäftigen sich zum einen mit rechtstheoretischen Pro­b­le­men und deren Relation zu dogmatischen Grundkonzepten und Strukturen des Sicherheitsrechts. Aktuelle Arbeiten zielen etwa auf eine analytische Rekonstruktion der juristischen Hermeneutik oder untersuchen die theore­ti­sche Natur von Rechtsprinzipien und der Abwägung. Gerade Letztere spielt in der verfassungsrechtlichen Beurteilung besonders invasiver sicherheitsrechtlicher Eingriffsbefugnisse eine zentrale Rolle.

Zum anderen sind hier Forschungsarbeiten angesiedelt, die dogmatischen Grundstrukturen des öffentlichen Sicher­heits­rechts gelten. Ein fortlaufendes Projekt zur systematischen Darstellung des Polizeirechts des Bundes und der Länder etwa beruht auf der Annahme, dass die mannigfaltigen polizeirechtlichen Befugnisse eine gemeinsame Grundstruktur aufweisen. Leitend ist in diesem Projekt die übergeordnete Frage, ob es möglich ist, ein über die Grenzen des deutschen Rechtsraums hinausgehendes, wirklich internationales systematisches Verständnis für Befugnisse im Rahmen der Gefahrenprävention zu entwickeln.

2. Tendenzen: Internationalisierung, Digitalisierung, Fragmentierung

Internationalisierung, Digitalisierung und Fragmentierung – alle drei die aktuelle Entwicklung der zivilen Sicherheit be­stim­men­den Tendenzen – weisen eine dialektische Struktur auf. Dies wird z. B. anhand von Terrorismus und inter­na­tio­na­len Netzwerken organisierter Kriminalität deutlich: Nicht nur die Gefahren für die öffentliche Sicherheit internationali­sie­ren sich, sondern auch die Bemühungen, sie zu bekämpfen. So agierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit seinen Resolutionen zur Terrorismusbekämpfung als erste Institution der Menschheitsgeschichte als eine Art globaler Gesetzgeber. Beide Seiten dieser Entwicklung –internationalisierte Gefahren und internationalisierte Reaktionen – for­dern das nationale Sicherheitsrecht heraus. Letzteres wird an der „Verpolizeilichung des Strafrechts“, der der Sicher­heits­rat mit seinen Resolutionen Vorschub leistete, sichtbar, die in einem Spannungsverhältnis zu dem Prinzip demo­kra­ti­scher Gewaltenteilung steht und daher unter anderem in Deutschland besondere Anstrengungen verlangt, damit es nicht zu Friktionen mit dem bestehenden Recht kommt. Die Projekte zur Internationalisierung sollen dazu beitragen, einen dogmatischen Rahmen und praktikable Lösungen für ein Sicherheitsrecht im Mehrebenensystem zu entwickeln.

Eine der stärksten Triebfedern des Bedeutungszuwachses, den das Sicherheitsrecht im öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte gewonnen hat, ist die Digitalisierung. Die sich stetig intensivierende Ver­netzt­heit eines jeden Aspekts unseres Lebens hat die modernen Gesellschaften durch drohende Netzwerk- und Kaskaden­effek­te derart vulnerabel gemacht, dass die zivile Sicherheit zu einem omnipräsenten Thema geworden ist. Der Angriff auf eine intelligente Lampe kann für eine Denial-of-Service-Attacke genutzt werden, die möglicherweise einen ganzen Industriezweig nachhaltig beeinträchtigt. Die sicherheitsrechtliche Dialektik der Digitalisierung entsteht daraus, dass sie einerseits unsere Gesellschaften verletzlicher macht, und andererseits unsere Bemühungen, adäquat auf die Risiken und Gefahren unter anderem der Digitalisierung zu reagieren, gleichfalls immer stärker auf digitalisierte Werkzeuge und Me­thoden setzen. Auf diese Weise können unsere Schutzmaßnahmen potentiell genau jene Verwundbarkeiten inten­si­vie­ren, die sie zu beseitigen suchen. Die Möglichkeit, mit Hilfe von Staatstrojanern unbemerkt Computer von Verdäch­ti­gen zu durchsuchen, kreiert etwa aufseiten der Behörden den starken Anreiz, ihnen bekannte Sicherheitslücken in IT-Syste­men (sog. zero-days) geheim zu halten, um genau diese Schwachstellen ausnutzen zu können (sog. zero-day exploits). Wenn solche Sicherheitslücken aber verschwiegen werden, können die Software-Unternehmen sie nicht schließen und die Öffentlichkeit kann sich nicht vor ihnen schützen – so setzen Sicherheitsbehörden potentiell Millionen IT-Systeme dem Risiko von Hackerangriffen aus. Wie lassen sich solche Zielkonflikte lösen?

Eine dritte Entwicklung, mit der sich das öffentliche Sicherheitsrecht konfrontiert sieht, ist die zunehmende Fragmen­tie­rung moderner westlicher Gesellschaften. Die – durch die Emergenz digitaler Technologien beschleunigte – tektonische Verschiebung unseres Kommunikationsverhaltens und Medienkonsums hat zu einer Zersplitterung des öffentlichen Dis­kurses geführt. Wachsende wirtschaftliche Ungleichheit sowie die religiöse und kulturelle Pluralisierung unserer Gesell­schaf­ten stellen zusätzliche Herausforderungen dar. Wie kann das Recht auf hierdurch verursachte Gefahren für die Allgemeinheit reagieren?

Auch auf institutioneller Seite ist eine Fragmentierung zu konstatieren. In manchen Staaten gibt es bereits jetzt mehr privates Sicherheitspersonal als staatliche Polizeikräfte. Im Zuge der Privatisierung wesentlicher Bereiche der öffent­lichen Infrastruktur sind einige Unternehmen, z. B. im Bereich der Telekommunikation oder der Energie- und Wasser­versor­gung, in eine mit erheblicher Verantwortung für die öffentliche Sicherheit verbundene Rolle hineingewachsen. Somit muss das öffentliche Recht auch den enormen Koordinations- und Kooperationsbedarf adressieren, der mit der Fragmentierung der „Dienstleistung Sicherheit“ entstanden ist.

3. Herausforderungen: Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, Demokratieprinzip

Die oben beschriebenen Entwicklungen werfen kategorial neue Probleme auf, die die Grundrechte der Bürger sowie das Funktionieren unserer demokratischen Institutionen und Prozesse bedrohen. An die Dynamik dieses gesellschaftlichen Wandels muss sich das öffentliche Recht anpassen, wenn es seine Schutzfunktion auch weiterhin erfüllen soll.

So droht der stetige Ausbau neuartiger sicherheitsrechtlicher Eingriffsbefugnisse Freiheitsrechte, Rechtsstaatlichkeit und wichtige Elemente demokratischer Kultur zu untergraben. Wachsende Befugnisse von Polizei und Nachrichten­diensten, die eigentlich gegen potentielle Straftäter gerichtet sind, beschneiden als unbeabsichtigte Nebenfolge oft empfindlich die Freiheitsrechte gerade jener, zu deren Schutz sie geschaffen wurden. Rechtsstaat und Demokratie werden durch Terrorismus und Kriminalität bedroht – sie können aber auch durch einen fortwährend expandierenden Sicherheitsapparat unterminiert werden. Gerade nachrichtendienstliche Eingriffsbefugnisse sind per se schwer einer rechtsstaatlichen und demokratischen Kontrolle zu unterwerfen, weil sie begriffsnotwendig im Geheimen stattfinden müssen.

Manche Reaktionen auf die hier umrissenen komplexen Problemkonstellationen werden gleichfalls dialektischer Natur sein. Zuweilen müssen Befugnisse, die allzu intensive Eingriffe ermöglichen, eingeschränkt werden, damit sie mit bereits bestehenden rechtlichen Standards vereinbar bleiben. Die größere Herausforderung liegt jedoch darin, die bestehenden rechtlichen Standards selbst weiterzuentwickeln. Ist es beispielsweise möglich, die Dogmatik des Antidiskriminierungs­rechts so anzupassen, dass ihre grundlegende Zielrichtung und Schutzwirkung nicht untergraben wird, sie aber der Big-Data-induzierten, massenhaften Erhebung, Speicherung und Verknüpfung sensibler personenbezogener Daten nicht vollständig entgegensteht? Wie sollten das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Datenschutzrecht in einer Welt verstanden und geschützt werden, in der die Verarbeitung personenbezogener Daten, gerade auch durch multinationale Monopolkonzerne, schlicht ubiquitär ist?

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