Projekt Privatrichter im Netz: die Judizialisierung der Regulierung von Online-Meinungsäußerung

Privatrichter im Netz

Die Judizialisierung der Regulierung von Online-Meinungsäußerung

Online-Plattformen setzen beim Umgang mit beleidigenden und proble­ma­ti­schen Online-Inhalten zunehmend auf private Adjudikationsinstanzen, die ursprünglich entwickelt wurden, um deren Accountability zu erhöhen und den Zugang zu einfachen und effektiven Online-Rechtsmitteln zu ermöglichen.
Immer häufiger agieren hier quasigerichtliche Instanzen mit internen Berufungsverfahren und unabhängigen Entscheidungsgremien – wie das Oversight Board von Meta oder außergerichtliche Streitbeilegungsstellen gemäß Artikel 21 des EU-Gesetzes über digitale Dienste (DSA). Sie sind ein Indiz für die zunehmende „Judizialisierung“ des digitalen Raums, im Rahmen derer private Adjudikation nicht nur zur Beilegung von Online-Streitigkeiten eingesetzt wird, sondern auch als Mechanismus der sozialen Ordnung dient, welcher übergreifende Normen für den Sprachgebrauch aufstellt. Dies wiederum führt im Laufe der Zeit zu einem transnationalen Recht zur Regelung des verbalen Umgangs im Internet – einem „Lex Digitalis Sermonis“.
Das Promotionsprojekt geht auf diesen Trend ein und befasst sich näher mit der Judizialisierung und ihrer Rolle bei der Ausgestaltung eines Lex Digitalis Sermonis. Es untersucht, ob ein solches Recht die Meinungsfreiheit umfassend schützt oder lediglich auf der Devise „Verfahren um der Verfahren Willen“ aufbaut und damit einen Deckmantel darüber wirft, wie die technologische Architektur von Online-Plattformen die freie Meinungsäußerung im Sinne der Wahrheitsfindung und der Rechenschaftspflicht von Machthabenden schwächt. Es kombiniert theoretische, gesetzesauslegende und interdisziplinäre Methoden und betrachtet Fälle der Streitbeilegungsstellen von Facebook und Wikipedia – die sowohl mit globaler Reichweite als auch mit komplexen Online-Beschwer­de­mecha­nis­men einhergehen – sowie von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen gemäß Art. 21 DSA.
Das Projekt zeigt Berührungspunkte mit verschiedenen Achsen der Forschungsmatrix der Abteilung. Insbesondere untersucht es jedoch das Zusammenspiel von Internationalisierung, Digitalisierung und Fragmentierung (sowie die Herausforderungen beim Schutz der Meinungsfreiheit) und findet sich damit auf der zweiten Achse wieder, die diesen drei großen Trends beim Thema öffentliche Sicherheit gewidmet ist. Als wesentliche inhaltliche Ergebnisse werden ein umfassenderes Verständnis des transnationalen Rechts, das Online-Meinungsäußerungen regelt, sowie politische Handlungs- und Gesetzesreformempfehlungen für die angemessene Gestaltung und Nutzung privater Adjudikationsmechanismen zum Schutz der Redefreiheit im Internet angestrebt.

 

Forschungsergebnis: Promotion am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2024–2026)
Forschungsschwerpunkt: 2. Tendenzen: Internationalisierung, Digitalisierung, Fragmentierung
Projektsprache: Englisch
Bild: © Cemile Bingol/iStock

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