Rechte im Strafrecht

Rechte im Strafrecht

Das Projekt Rights in Criminal Law will aus interdisziplinärer Perspektive neue Antworten auf zwei Zentralfragen der Strafrechtsphilosophie geben: Wem geschieht Unrecht, wenn Straftaten begangen werden? Und warum? – Nach gängiger Auffassung in der deutschsprachigen wie auch anglo-amerikanischen Wissenschaft spielt sich Kriminalunrecht im Verhältnis von Staat und Bürger ab: Die Einhaltung strafrechtlicher Pflichten (bspw. des Tö­tungs­verbots) ist nicht den durch das Strafrecht geschützten Personen geschuldet, sondern dem Staat, der Straf­ge­set­ze erlässt. Die Strafrechtstheorie sieht den Einzelnen also nicht als Inhaber normativer Ansprüche, sondern als bloßen Nutznießer staatlicher Strafvorschriften. Entsprechend geschieht im Falle einer Pflichtverletzung – nor­ma­tiv betrachtet – auch nicht dem faktisch verletzten Opfer Unrecht, sondern der staatlich verfassten Rechts­ge­mein­schaft.
Diese „normative Rechtlosigkeit“ des Individuums im Strafrecht ist im vorherrschenden Paradigma insbesondere auf zwei Gründe zurückzuführen: 1) Erstens ein Bekenntnis zum Harm-Principle bzw. zu theoretischen Äqui­va­len­ten wie der im deutschsprachigen Raum vertretenen Rechtsgutslehre als Leitprinzipien für die Kriminalisierung von Verhaltensweisen. Denn nach diesen Prinzipien darf individuelle Freiheit nur dann strafrechtlich eingeschränkt werden, wenn dies zur Abwendung von Schäden bzw. Verletzungen rechtlich wertvoller Gütern anderer Personen erforderlich ist. Dabei führen sie jedoch die moralische Bedeutung eines Schadens nicht auf eine Verletzung der normativen Stellung einer Person zurück, die mit intersubjektiven Ansprüchen ausgestattet ist. 2) Zweitens ein theoretisches Verständnis von Rechten, das zu einem großen Teil von einer engen Auslegung der sog. Willens­theo­rie subjektiver Rechte geprägt ist, die davon ausgeht, dass Rechtsinhaber die rechtliche Befugnis besitzen müssen, eine Entschädigung für die Verletzung der Pflichten zu verlangen. Da Opfern von Straftaten angesichts des weitgehenden Anklagemonopols der Staatsanwaltschaft diese Befugnis fehlt, können sie nach dieser Ansicht nicht als Rechteinhaber angesehen werden.
Umgekehrt sprechen gewichtige Argumente dafür, subjektiven Rechten eine zentrale strafrechtliche Bedeutung einzuräumen: So lässt sich im Strafrecht auf deskriptiver Ebene mit einem rechtebasierten Ansatz die moralische wie rechtliche Bedeutung individueller Zustimmung deutlich besser erklären. Gleiches gilt für neue Elemente der Strafverfolgung (z. B. prozessuale Opferrechte) und der Strafe (z. B. Wiedergutmachung und restaurative Gerech­tig­keit). Und auf normativer Ebene bietet ein rechtebasierter Ansatz ein alternatives Prinzip für die Krimina­li­sie­rung von Verhaltensweisen, das die moralische Bedeutung von Verbrechen auf die Verletzung der individuellen Autonomie zurückführt. Verbrechen als individuelle Rechtsverletzung zu begreifen, weist damit der normativen Stellung einer Person erstmals eine zentrale Erklärungsfunktion in der Strafrechtslehre zu.
Das Projekt Rights in Criminal Law will eine Debatte darüber, was Unrecht zu einem Verbrechen macht und wer hier­von normativ betroffen ist, auslösen. Hierzu führt das Projekt ausgewiesene Experten aus den Bereichen Rechts­theo­rie, praktische Philosophie und Strafrecht, die in den vorgenannten Debatten paradigmatische Positionen ent­wi­ckelt haben, mit Nachwuchswissenschaftlern zusammen, die diese im Rahmen neuerer Ansätze in Frage stellen. Ziel ist es, das theoretische Potenzial subjektiver Rechte im Strafrecht offenzulegen und kritisch zu reflektieren, um so den Grundstein für weitere Forschung zu subjektiven Rechten im Strafrecht zu legen.

 

Forschungsergebnis: Tagung und Forschungsband
Projektsprache:Englisch
Foto:© ESB Professional/Shutterstock_237863665

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