Beschränkung und Entzug bürgerlicher und politischer Rechte infolge strafrechtlicher Verfolgung: eine vergleichende europäische Studie
Kooperationsprojekt in Zusammenarbeit mit der Aristoteles-Universität Thessaloniki
Das vergleichend angelegte Projekt untersucht die Regelungen zur temporären oder Beschränkung oder dem dauerhaften Entzug bestimmter bürgerlicher und politischer Rechte, die nach einer strafrechtlichen Verurteilung verhängt werden können, am Beispiel ausgewählten europäischer Rechtsordnungen. Historisch gehen solche Regelungen auf das Konzept der Ehrenstrafen des 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts zurück. Ziel dieser stigmatisierenden Strafen war die gesellschaftliche Ächtung und der Ausschluss der Betroffenen aus der Gesellschaft bzw. die (zumindest partielle) Beschränkung ihrer gesellschaftlichen Teilhabe. Eine Vielzahl nicht- bzw. nicht explizit strafrechtlicher Restriktionen sind, wenn auch in anderer Form, auch heute noch weit verbreitet. Im Zuge der zunehmenden präventiven Ausrichtung der (Kriminal-)Politik und des (Straf-)Rechts haben sie sogar neue Bedeutung erlangt, heutzutage freilich in anderem, zumeist verwaltungsrechtlichem Kostüm. Die beschriebenen Maßnahmen sind bislang nur wenig erforscht. Systematische Vergleichsanalysen fehlen weitgehend, normative ebenso wie empirische. Mit dem vorliegenden Projekt soll diese Lücke ein Stückweit geschlossen werden.
Auf der Grundlage der bisherigen Forschungsergebnisse ergeben sich deutliche Unterschiede im Hinblick auf eine Vielzahl von Merkmalen, etwa der Art der Maßnahmen, ihren Rechtscharakter und die Voraussetzungen für ihre Verhängung. Ihr Zweck kann entweder punitiv oder präventiv definiert sein; mitunter können sie als inhaltlich (vermeintlich) neutrale fachverwaltungsrechtliche Entscheidung erscheinen oder schlicht als Maßnahme sui generis. Auch der Bestand an "soft law"-Normen und informellen ethischen Regelwerken, die sich mit der zunehmenden Bedeutung von Corporate Governance etabliert haben, kann einschneidende Konsequenzen vorsehen. Zu den relevanten Einsatzbereichen zählen beispielsweise das Wahlrecht, das Familienrecht, das Einwanderungsrecht oder das Wirtschafts-, Gewerbe-, Arbeits- und Beamtenrecht. Neben dem Ausschluss von öffentlichen Ämtern können auch privatwirtschaftliche Aktivitäten versperrt sein, beispielsweise durch den Entzug einer Gewerbeerlaubnis. Das betrifft nicht nur Führungspositionen, sondern eine Vielzahl beruflicher Tätigkeiten. So dürfen ehemalige Straftäter (oder Personen mit bestimmten Kategorien von Vorstrafen) unter Umständen nicht im privaten Sicherheitsgewerbe, bei Banken, in der Buchhaltung, dem Ingenieurswesen und weiteren Berufszweigen arbeiten. In den approbierten Berufen – Anwaltschaft, Medizin, Pharmazie etc. – droht neben verschiedenen berufsrechtlichen Sanktionen auch der Entzug der Zulassung. Mitunter können Betroffene nicht einmal eine Lizenz zum Betreiben einer Bar oder eines Restaurants erwerben oder als Kellner oder selbständiger Taxifahrer arbeiten, ganz zu schweigen vom Entzug der Fahrerlaubnis und des Führerscheins, der quantitativ eine besonders große Rolle spielt. Auch die Erlaubnis zum Waffenbesitz, zur Jagd oder zur Tierhaltung hängt oft von einem vorstrafenfreien Führungszeugnis ab. Manchmal haben die zuständigen Behörden und die Justiz einen Ermessensspielraum, manchmal nicht. Die entsprechenden Rechtsfolgen können aber auch automatisch eintreten.
Aus der Perspektive des Rechts der öffentlichen Sicherheit berührt das Projekt zwei zentrale Themenfelder in der Forschungsagenda der Abteilung. Zum einen ist die normative Verlagerung von ursprünglich strafrechtlichen in verwaltungs-, privat- und wirtschaftsrechtliche Regelungskontexte ein Indikator für die zunehmende Fragmentierung des Sicherheitsrechts. Zum anderen haben die einschlägigen Vorschriften evidente Grundrechtsrelevanz; dabei ist die Verhältnismäßigkeit eine Schlüsselfrage. In methodischer Hinsicht reflektiert die Untersuchung die beiden Fragestellungen gleichermaßen. Erstens durch die deskriptive Bestandsaufnahme des rechtlichen Rahmens, zweitens durch die vergleichende sektorale Analyse und die abschließenden zentralen Schlussfolgerungen.
Forschungsertrag: | umfassender Forschungsbericht (2022); Zeitschriftenartikel und Konferenzpräsentationen (2020–2022) |
---|---|
Forschungsschwerpunkt: | 2. Tendenzen: Internationalisierung, Digitalisierung, Fragmentierung |
Projektsprache: | Englisch |
Foto: | © Michael Kilchling |
Publikationen
Präsentation
»CRIMINAL PENALTIES SELDOM COME ALONE«
Introduction into a European Study on Restrictions and Disenfranchisement of Civil and Political Rights after Conviction