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Amalia Holst und das Paradox der öffentlichen Vernunft

Amalia Holsts Buch Über die Bestimmung des Weibes zur höhern Geistesbildung (1802) forderte die Leserwelt in vielerlei Hinsicht heraus. Holst schrieb nicht nur, dass die „Bildung des Weibes […] erstlich völlig frei seyn [muß]“, sondern begrün­dete diese Forderung in einer allgemeinen Pflicht, seine geistigen Fähigkeiten auszubilden – einer Pflicht also, die Männer und Frauen gleichermaßen teilen. Und sie beschuldigte Männer, dass sie Frauen nur des­halb das Recht auf Bildung verweigert hätten, da sie „fürchteten, daß bei einer sich erworbenen höheren Aus­bil­dung es den Weibern auch einmal einfallen möchte, sie wegen der mancherlei Ungerechtigkeiten, die sie erdulden müssen, zur Rechenschaft zu ziehen“.
Dies sind radikale Argumente, die das Potenzial hatten, das Geschlechtersystem der deutschen Staaten in seinen Fundamenten zu erschüttern. Doch Holst zieht politisch kon­ser­va­tive Schlüsse. Sie „möchte […] nicht gern eine Revolutionspredigerin seyn“, schreibt sie an einer Stelle. An einer anderen ermutigt sie ihre Leserinnen, sich „im bunten Gewühl des Theaters der Welt mit den kleinen unscheinbaren […] Rollen [zu] befriedigen“.
In diesem Aufsatz untersuchen wir die Spannung zwischen den moralisch radikalen und den politisch konser­va­ti­ven Elementen von Holsts Argument. Wir interpretieren diese Spannung als Ausdruck des Paradoxons der öf­fent­li­chen Vernunft, wie es in Kants Aufsatz über die Aufklärung zum Ausdruck kommt. Für den öffentlichen Gebrauch der Vernunft unterliegt man zwei Imperativen, die sich nicht notwendigerweise gleichzeitig erfüllen lassen: (1) Ha­be Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, und (2) respektiere die (geschlechtsspezifischen) Grenzen der öffentlichen Sphäre. Diese Interpretation entfernt sich von einem individualistischen Verständnis der text­li­chen Inkonsistenz und fokussiert stattdessen auf die Struktur der öffentlichen Vernunft, die Holst navigieren muss, wenn sie ihre Gedanken dem Publikum der Leserwelt präsentiert.

 

Forschungsergebnis: Zeitschriftenartikel
Projektsprache: Englisch
Grafik: © Duskcraft/AdobeStock.com (generiert mit KI)

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