Resozialisierung von Sexualstraftätern
Sexualstraftäter in sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen
Nach dem Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 sollten ab Januar 2003 alle Sexualstraftäter mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe Sozialtherapie erhalten. Auf diesem Hintergrund wird zu sozialtherapeutischen Abteilungen im Freistaat Sachsen eine Evaluationsstudie zur Behandlung von Sexualstraftätern durchgeführt. Hauptziele sind die Darstellung und Analyse der Rückfallkriminalität von Sexualstraftätern, der sie bedingenden (Stichwort „kriminogene Faktoren”) oder auf sie Einfluss nehmenden (therapeutische Maßnahmen, Klima in der Anstalt) Faktoren sowie die Verbesserung von Prognosen der Rückfallkriminalität.
Forschungsfragen
Wissenschaftliches Hauptziel ist die Darstellung und Analyse der Rückfallkriminalität von Sexualstraftätern. Als forschungsleitende Hypothesen überprüfen wir dabei, ob die folgenden Faktoren den Rückfall beeinflussen: a) kriminogene Faktoren, täterbezogene Faktoren, b) therapeutische Maßnahmen und damit in Zusammenhang stehende Variablen wie das Klima in der Anstalt und c) deliktspezifische Faktoren.
Ein weiteres Hauptanliegen ist die Weiterentwicklung des theoretischen Verständnisses der Sexualdelinquenz. So soll überprüft werden, ob im Sinne der allgemeinen Kriminalitätstheorie von Gottfredson & Hirschi (1990) deliktunspezifische ätiologische Faktoren von Bedeutung sein könnten. Des Weiteren zielt die Untersuchung darauf ab, die Lebenswirklichkeit von Sexualstraftätern nach deren Haftentlassung besser zu verstehen und Zusammenhänge zu Rückfall und Legalbewährung theoretisch zu fundieren.
Daher verfolgen wir u.a. folgende Fragestellungen:
- Kann Sozialtherapie Rückfälle von Sexualstraftätern verhindern?
- Welche Zusammenhänge gibt es zwischen verschiedenen Verläufen nach Sozialtherapie und den Maßnahmen in der Sozialtherapie sowie kriminogenen und ressourcenorientierten Faktoren?
- Unterscheiden sich Gewalt- und Sexualstraftäter in den zugrundeliegenden Faktoren und handelt es sich dabei um Tätergruppen mit typenspezifischen Erfordernissen? Lassen sich daraus zielgruppenspezifische Interventionen ableiten?
- Welche Dynamik steht hinter dem "Abbrecherphänomen"?
- Wie können Rückfallprognosen verbessert werden?
- Gibt es altersgruppenspezifische Ergebnisse (jugendliche und heranwachsende vs. erwachsene Sexualstraftäter)?
- Wie gestaltet sich das Leben von Sexualstraftätern nach Haftentlassung und welche Zusammenhänge mit Rückfall oder Legalbewährung lassen sich hier identifizieren?
Studiendesign
Sexual- und Gewaltstraftäter in den sozialtherapeutischen Abteilungen des Freistaates Sachsen aber auch im Regelvollzug werden zu mehreren Erhebungszeitpunkten untersucht.
Datenerhebung: 2003 bis 2016
Dabei gibt es vier Erhebungszeitpunkte:
- t1 im Beginn der Haftphase (n = 403)
- t2 kurz vor der Entlassung des Probanden (n = 276)
- t3 ein Jahr nach Entlassung in Freiheit (n = 144; letzte Befragung 2013)
- schließlich erfolgt die Analyse der BZR Daten (2012 und 2017).
In der Sozialtherapie behandelte Sexual- und Gewaltstraftäter werden mit im Regelvollzug verbliebenen Insassen verglichen. Die Datengrundlage umfasst: umfassende testpsychologische Exploration zu den verschiedenen Untersuchungszeitpunkten, persönliche Interviews zu Biographie und vollzuglichen Maßnahmen, Analyse der Gefangenenpersonalakten, Befragung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, halb-standardisiertes Interview nach der Entlassung, Erfassung von Vorstrafen und Rückfall (Hell- und Dunkelfeld).
Des Weiteren erfassten wir Akten-Daten von rund 300 Probanden (matched sample), die nicht an der persönlichen, ausführlichen Exploration teilnahmen. Dies ermöglicht die Analyse von möglichen Selbstselektionseffekten bzw. der Repräsentativität der Hauptstichprobe.
Bisherige Ergebnisse
Derzeit finden die abschließenden Auswertungen und Verschriftlichungen dieser Endergebnisse statt.
Das Leben von Sexualstraftätern nach Haftentlassung
Die Frage, wie sich das Leben und der Lebensverlauf von Sexualstraftätern nach deren Haftentlassung gestalten und in welchem Zusammenhang diese ggf. mit Rückfallverhalten und Legalbewährung stehen, wird basierend auf vier Perspektiven untersucht:
Perspektive 1: Vergleich entlassener Sexualstraftäter mit der Gruppe der entlassenen Gewaltstraftäter.
Perspektive 2: Aus dem entwicklungspsychologischen Lebenslaufverständnis interessieren vor allem Stressbewältigungsansätze und die Möglichkeiten, die eine Person hat, sich mit Anforderungen der Umwelt auseinanderzusetzen bzw. wie Personen mit Verlusten, Einschränkungen und das eigene Selbstkonzept bedrohenden Einwirkungen umgehen.
Perspektive 3: Analyse von Risiko- und Schutzfaktoren, die sich in den Narrativen identifizieren lassen.
Perspektive 4: Bedeutung des Salutogenese-Konzepts für haftentlassene Straftäter und deren Resozialisierung.
Im Rahmen des Projektes wurden zwei Dissertationen angefertigt:
- Gauder, K.-S. (2021). „Wieder in dieses normale zivile Leben reinkommen“ – zur Bedeutung von Normalität im Wiedereingliederungsprozess haftentlassener Sexualstraftäter (Vol. K 191) Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht : Kriminologische Forschungsberichte. Berlin: Duncker & Humblot. doi:10.30709/978-3-86113-287-5
- Wienhausen-Knezevic, E. (2020). Lebensverlaufsdynamiken junger Haftentlassener : Entwicklung eines empirischen Interaktionsmodells (ZARIA-Schema) zur Analyse von Haftentlassungsverläufen (Vol. K 184) Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht : Kriminologische Forschungsberichte. Berlin: Duncker & Humblot. doi:10.30709/978-3-86113-282-0
Podcast
Sozialtherapie bei Sexualstraftätern
Die Kriminalpsychologin Gunda Wössner hat über 15 Jahre Sexualstraftäter begleitet, die in Sachsen im Gefängnis saßen. Sie hat untersucht, wie sich eine sogenannte „Sozialtherapie“ auf sie auswirkt. In der ersten deutschsprachigen Folge unseres Podcasts spricht die Wissenschaftlerin über die Herausforderungen ihres Projekts und erklärt, warum jeder Sexualstraftäter in Deutschland eine zweite Chance verdient hat.