Die digitale Aufmerksamkeitsökonomie unter dem Grundgesetz und dem internationalen öffentlichen Recht
Das Geschäftsmodell einiger der aktuell weltweit größten, wertvollsten und gesellschaftlich einflussreichsten Unternehmen wie Google (Alphabet), Facebook (Meta) und Twitter kann als das gezielte Binden menschlicher Aufmerksamkeit und der Verkauf dieser Aufmerksamkeit zu Werbezwecken beschrieben werden. Ihre Services sind – unter dem Einsatz enormer Geldmittel, leistungsstarker KI und hochspezialisierter Expertinnen und Experten – auf die Maximierung der von Nutzenden aufgewendeten Aufmerksamkeit optimiert. Diese systematische und in ihrer Effektivität und ihrem Umfang historisch beispiellose Inanspruchnahme menschlicher Aufmerksamkeit hat, auch angesichts der erheblichen Bedeutung der Services für Kommunikation, Information, Unterhaltung, Selbstdarstellung, kulturelle Entwicklungen, öffentliche Debatten und den demokratischen Prozess, weitreichende Auswirkungen, von denen einige problematisch erscheinen. Dazu gehören auf individueller Ebene Beeinträchtigungen der psychischen Gesundheit und die Gefährdung der Bedingungen personaler Autonomie und freier Persönlichkeitsentfaltung. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die aufmerksamkeitsoptimierte Funktionsweise der Services eine wesentliche Ursache für die im Zusammenhang mit Social Media beschriebene zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und das Erstarken von Fake News, Verschwörungstheorien und Hate Speech. Das Projekt untersucht die juristische Relevanz der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie unter dem Grundgesetz und dem internationalen öffentlichen Recht.
Hierbei ergeben sich zwei zentrale Problemfelder. Einerseits ist zu klären, ob und inwieweit der Staat zu Interventionen in der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie befugt ist, wie sie zum Teil aus rechtspolitischer Perspektive vorgeschlagen werden. Hiermit verbunden sind grundlegendere Fragen wie die nach der Legitimität paternalistischer Interventionen durch den Staat, nach dem Verhältnis öffentlicher und privater Sphären zueinander und nach Bestehen und Umfang einer staatlichen Pflicht zum Wahren ethischer Neutralität. Andererseits soll erörtert werden, ob durch die gezielte, systematische und hocheffektive Inanspruchnahme der Aufmerksamkeit der Nutzenden Grundrechte des Grundgesetzes oder internationaler Grundrechtskataloge betroffen sind und, falls dem so ist, ob hieraus eine mittelbare Drittwirkung dieser Grundrechte oder staatliche Schutzpflichten resultieren. Zu klären ist in diesem Zusammenhang insbesondere, welche Bedeutung nachbarwissenschaftlichen Erkenntnissen über die conditio humana bei der Interpretation rechtlicher Normen zukommt und, damit verbunden, welche Konzeption menschlicher Autonomie bei der Anwendung der Grund- und Menschenrechte zugrunde zu legen ist.
Während in der breiten Debatte über problematische Auswirkungen von Social Media Aspekte wie Datenschutz, Informationszugang und Rechtsverletzungen durch Beiträge bereits eingehend thematisiert werden, wird die Bedeutung der gezielten Beeinflussung der Aufmerksamkeitsausrichtung und der Folgen dieser Beeinflussung oft noch nicht adäquat erfasst. Unter Rezeption rechtswissenschaftlicher wie auch philosophischer, psychologischer und verhaltenswissenschaftlicher Literatur soll durch das vorliegende Projekt, das Bezüge zu allen drei Achsen der Forschungsmatrix der Abteilung Öffentliches Recht aufweist, die deutschsprachige öffentlich-rechtliche Debatte über das Phänomen digitale Aufmerksamkeitsökonomie angestoßen werden, dessen bereits jetzt enorme gesellschaftliche Relevanz aller Voraussicht nach in Zukunft weiter zunehmen wird.
Forschungsergebnis: | Promotion am MPI-CSL und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2020–2026) |
---|---|
Forschungsschwerpunkt: | 2. Tendenzen: Internationalisierung, Digitalisierung, Fragmentierung |
Projektsprache: | Deutsch |
Foto: | © Camilo Jimenez/Unsplash |