Recht auf menschliche Entscheidung?
Rapide technologische Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz laden dazu ein, rechtliche Entscheidungskompetenzen zunehmend von Menschen auf Maschinen zu verlagern. Zahlreiche unionsrechtliche und nationale Normen greifen hierdurch erweckte normative Irritationen auf und postulieren menschliche Interventionen in automatisierte Entscheidungsprozesse (z.B. Art. 22 DSGVO und § 35a VwVfG-Bund). Es ist jedoch bislang ungeklärt, welches verfassungsrechtliche Gut diese Normen schützen. Ihre unklare Ratio schafft Rechtsunsicherheit: Wenn wir nicht wissen, warum rechtsstaatliches Entscheiden menschliche Interventionen erfordert, können wir weder zuverlässig erkennen, wo sie fehlen, noch worin genau sie bestehen sollen. Das Projekt adressiert diese Rechtsunsicherheit, indem es untersucht, ob und inwieweit bestehende verfassungs- und menschenrechtliche Garantien ein Recht auf eine menschliche Entscheidung schützen. Ein solches Recht hätte erhebliche Auswirkungen auf moderne Instrumente des europäischen und nationalen Sicherheitsrechts, beispielsweise die Datenverarbeitungsregimes der PNR-Richtlinie und der ETIAS-Verordnung.
Die existierende rechtswissenschaftliche Literatur zur Rechtsautomatisierung konzentriert sich in der Regel auf konsequentialistische Kritik an den Ergebnissen automatisierter Entscheidungen. Sie beruht oftmals auf schematischen Annahmen über vermeintliche kategoriale Unterschiede zwischen menschlicher und maschineller Kognition. Diese Dissertation soll deshalb versuchen, den rechtswissenschaftlichen Diskurs mit tieferen Argumenten aus den Kognitionswissenschaften und der Philosophie des Geistes anreichern. Dabei untersucht sie zwei Begründungsstränge für ein Recht auf menschliche Entscheidung: Erstens einen substanzontologischen, inspiriert durch die Kritik Searles an den Computational Theories of Mind in seinem Chinese Room Argument – und zweitens einen normativ-relationalen, inspiriert durch Honnethsche Anerkennungstheorien der Menschenwürde. Das Projekt soll in der Auseinandersetzung mit diesen Begründungssträngen eine analytisch klare sowie normativ stabile dogmatische Konzeption für ein Recht auf menschliche Entscheidung entwickeln. Damit soll es auch für die Rechtspraxis einen interpretationsleitenden Beitrag zu offenen dogmatischen Fragestellungen leisten, wie der Automatisierbarkeit des rechtlichen Ermessens, oder der Feststellbarkeit konkreter Gefahren durch automatisierte Predictive Policing Tools.
Methodisch bedient sich das Projekt interdisziplinären Wissens, der deskriptiven Untersuchung von Rechtspraktiken, klassischer gesetzlicher Auslegungsarbeit und konstruktiver dogmatischer Analyse. Es verortet sich auf dem Schnittpunkt aller drei Forschungsachsen der Abteilung Öffentliches Recht: Es untersucht eine sich aufgrund des Trends der Digitalisierung neu stellende Frage innerhalb der klassischen Grundrechtsdogmatik. Dabei problematisiert es nicht nur akteurstheoretische Grundannahmen, sondern entwickelt auch praktische Leitlinien für die Interpretation von sicherheitsrechtlichen Eingriffsbefugnissen.
Forschungsergebnis: | Promotion am MPI-CSL und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2021–2024) |
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Forschungsschwerpunkt: | 2. Tendenzen: Internationalisierung, Digitalisierung, Fragmentierung |
Projektsprache: | Deutsch |
Foto: | © Natasha Connell/Unsplash |