Recht oder Fakten schaffen? KI-Systeme als Disruptiv der Strafjustiz

Recht oder Fakten schaffen? KI-Systeme als Disruptiv der Strafjustiz

Sind Programmierer die neuen Ge­setz­geber – wie Joseph Weizenbaum bereits vor Jahr­zehn­ten prognostizierte, und werden sie die Strafjustiz ganz neu auf­stel­len? KI-Systeme dürften zunehmend menschliche Entscheidungen in ver­schie­denen Bereichen ersetzen, etwa bei der Einschätzung des Rückfallrisikos oder bei der Strafzumessung. Vielleicht kann sogar der Sachverhalt in Strafrechtsfällen bald auf Knopfdruck rekonstruiert und die Rechts­anwen­dung in Standardkonstellationen (wie bei Verkehrsdelikten) automatisiert werden.
Das übergreifende Projekt zeigt Situationen auf, in denen der Einsatz von KI-Systemen den traditionellen Ablauf der Strafjustiz zu durchbrechen droht. Dazu gehören nicht nur Fälle, in denen individuelle Gefährdungsprofile oder Strafzumessungen im Einzelfall durch komplexe stochastische Methoden bestimmt werden, sondern auch Vor­gän­ge, in denen intelligente Systeme das Gesetz durchsetzen, wie z. B. intelligente Autos, die in den menschlichen Straßenverkehr eingreifen, um die Einhaltung der Verkehrsregeln auf öffentlichen Straßen zu gewährleisten.
Primär dienen KI-Systemen pragmatischen Zwecken, wie der Einsparung menschlicher Res­sour­cen, der Ver­bes­se­rung von Genauigkeit von Prognosen, der Förderung der Verkehrs­sicher­heit. Sekundäre Auswirkungen werden oft nicht bedacht, obwohl diese tiefgreifend sein können. Das betrifft nicht nur offensichtliche Risiken einer Ver­stär­kung von vorurteils­belas­teten Entscheidungen, sondern langfristige Gefahren der Rechtswahrung. Wenn bei­spiels­weise hochautomatisierte Autos in der Lage sind, als eine Art Zeuge über das Verhalten ihrer Nutzer aufzutreten oder wenn moderne Fahrzeuge das menschliche Verha­lten vermehrt durch „Unmöglichkeits-Strukturen“ steuern, ist kein Raum mehr, um dem Normgebot freiwillig zu entsprechen und Rechtsgeltung durch menschliche Ent­schei­dungen und Handlungen zu bestätigen. Vielmehr wird Entscheidungsfreiheit eingeschränkt, möglicherweise sogar dort, wo es ein Recht gibt, sich für ein Fehlverhalten zu entscheiden. Ziel des Projekts ist es, die primären und se­kun­dären Auswirkungen von KI-Systemen zu erfassen und die Auswirkungen auf die Strafrechtssysteme zu analysieren.

 

Projektsprachen: Deutsch, Englisch
Zeitlicher Rahmen: 06/2023 – 05/2025
Grafik: © Mamak

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