Der Begriff der Schuld in seiner Bedeutung für das Strafrecht

Der Begriff der Schuld in seiner Bedeutung für das Strafrecht

Schuld ist zentraler Angelpunkt des gegenwärtigen deutschen Strafrechts: als Voraussetzung für Strafe, Garantie des verfassungsrechtlichen Schuldprinzips und Inbegriff der systemischen Grundentscheidung für ein sog. Schuld­straf­recht. Die Kategorie der Schuld im Verbrechensaufbau beantwortet – nach gängigem Verständnis – die für das Strafrecht essentielle Frage, ob einem Täter die rechtswidrige Tat auch individuell vorgeworfen werden kann. Doch der Begriff der Schuld und seine Verwendung im deutschen Strafrecht bleiben durch eine große Unbestimmtheit und Offenheit gekennzeichnet: So ist Schuld a priori kein genuin rechtlicher Begriff, sondern wird in sozialen, morali­schen und religiösen Bezügen und Bedeutungen universell genutzt und ist untrennbar mit seiner vorrechtlichen kulturellen Bedeutung in der Gesellschaft verknüpft. Mehr noch wird die Bedeutung des Begriffs im Strafrecht kontextabhängig bestimmt und variiert: Verbrechenslehre, Strafzumessung, Straftheorie und Verfassungsrecht scheinen unterschiedliche Schuldverständnisse zugrunde zu legen.
Schuld ist daher weniger ein feststehendes Konzept, sondern vielmehr ein Bündel verschiedenster normativer Gehalte und Funktionen, die mit dem Begriff der Schuld assoziiert werden. Das Projekt verfolgt das Ziel, durch eine Analyse der Verwendungskomplexe und der jeweils assoziierten normativen Gehalte eine Übersicht über die normative Verwendungspraxis des Begriffs der Schuld im Strafrecht zu erlangen und aufzuschlüsseln, welche herkömmlicherweise positiv bewerteten normativen Gehalte und Funktionen mit dem Begriff der Schuld verknüpft werden. Ausgangshypothese ist, dass mit der Anwendung des Begriffes auf verschiedene normative Regelungs­komplexe gemeinsame Eigenschaften dieser Fälle unterstellt werden, die im Umkehrschluss die Anwendungs­bedingungen des Begriffs im Sinne einer normativen Richtlinie begründen.
Angesichts der Ergebnisse wird zu prüfen sein, ob die normativen Gehalte und Funktionen stimmig und notwendi­ger­wei­se unter den Begriff der Schuld zu fassen sind, die tradierte, funktionale Unterscheidung von Strafbegrün­dungs­schuld, Strafzumessungsschuld und Schuldidee zu überzeugen vermag, oder inwieweit das Begriffsfeld der Schuld für das gesamte Strafrecht neu zu systematisieren ist. Dazu sind aktuelle normative Herausforderungen wie etwa die Frage nach der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von autonomen Automaten und wirtschaftlichen Orga­ni­sa­tions­ver­bän­den, die Anzweiflung menschlicher Willensfreiheit durch die Neurowissenschaften und allgemein die Flexibilisierung und Internationalisierung des Strafrechts daraufhin zu untersuchen, welche mit dem Schuldbegriff assoziierten Gehalte und Funktionen in einem modernen, rechtsstaatlichen Strafrecht noch erforderlich und zu­gleich gut begründbar sind. Das vorliegende Projekt möchte durch eine analytische Bestandsaufnahme des Begriffs der Schuld im Strafrecht zu dieser grundlegenden Debatte beitragen.

 

Forschungsergebnis: Dissertation
Projektsprache: Deutsch
Foto: © TungCheung/colourbox.com

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