Algorithmische Sicherheit und menschliche Autonomie
Der Kern menschlicher Autonomie kann verstanden werden als die Fähigkeit, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln. Menschliche Entscheidungsfindungsprozesse werden heute zunehmend durch algorithmische Entscheidungsverfahren ergänzt, unterstützt oder ersetzt. Im Bereich der zivilen Sicherheit hat dies zur Entstehung eines „algorithmischen“ und „präemptiven“ sicherheitspolitischen Ansatzes geführt. Jüngste Beispiele auf EU-Ebene sind die Richtlinie über Fluggastdatensätze (PNR) und die Verordnung über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS).
Anders als reaktive und präventive Ansätze in der Sicherheitspolitik zielt der algorithmische Ansatz darauf ab, spezifische kriminelle Handlungen zu verhüten, indem zukünftiges Verhalten probabilistisch bewertet wird. Die bestehende Rechtsprechung und die Forschungsliteratur zu diesem Sicherheitsmodell stellen fest, dass dieses Sicherheitsparadigma etablierte rechtsstaatliche Prinzipien herausfordert, und halten eine stärkere Angleichung an bestehende normative Standards für erforderlich. Tiefergehende Fragen werden jedoch nur selten behandelt, etwa wie dieses Sicherheitsmodell das Verständnis von Menschen als Adressaten von Rechtsnormen verändert und normative Konzepte modifiziert, die als Maßstab für die Bewertung von Sicherheitspraktiken dienen. Dieses Projekt zielt daher darauf ab: (1) die Hauptmerkmale des aktuellen Trends zu algorithmischer Sicherheit aufzuzeigen, (2) seine Auswirkungen auf die Beziehung zwischen dem Recht und seinen Adressaten zu beleuchten und (3) zu untersuchen, welche philosophischen Konzepte von Autonomie einen geeigneten normativen Hintergrund darstellen können. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Konzeptionen von Autonomie gelegt, die über Selbstgesetzgebung und Selbstbestimmung hinausgehen, einschließlich ihrer relationalen und sozialen Dimensionen.
Durch die Fokussierung auf grundlegende philosophische Konzepte leistet dieses Projekt einen Beitrag zur ersten Achse der thematischen Matrix der Abteilung für Öffentliches Recht. Darüber hinaus untersucht es auch die Art und die Auswirkungen der gegenwärtigen Digitalisierungstrends im Sicherheitsrecht (zweite Achse). Als Brückenschlag zwischen den Disziplinen Rechtsphilosophie und politische Philosophie stützt sich das Projekt hauptsächlich auf eine (historisch kontextualisierte) begriffliche Analyse und normative Kritik. Da Praktiken der Verhaltensprofilierung nicht auf den Sicherheitssektor beschränkt sind, sondern das technologisch vermittelte soziale Leben und unsere digitale Wirtschaft im weiteren Sinne durchdringen, gehen die Forschungsergebnisse weit über den Bereich des öffentlichen Sicherheitsrechts hinaus.
Forschungsergebnisse: | begutachtete Zeitschriftenartikel (2023–2024) |
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Forschungsschwerpunkt: | 1. Grundlagen: Rechtstheoretische Fragen und dogmatische Strukturen |
Projektsprache: | Englisch |
Foto: | © Pietro Jeng/Unsplash |