Kohortenstudie zur Entwicklung polizeilich registrierter Kriminalität und strafrechtlicher Sanktionierung
Zur Untersuchung krimineller Karrieren führt das Max-Planck-Institut die "Freiburger Kohortenstudie zur Entwicklung polizeilich registrierter Kriminalität und strafrechtlicher Sanktionierung" durch. Es handelt sich um ein langfristig angelegtes Projekt der kriminologischen Grundlagenforschung, das durch sein besonderes Kohortendesign einzigartig in der Bundesrepublik ist. Die Zielsetzung des Projekts wird durch folgende zentrale Fragen umrissen: Welche altersabhängigen Verläufe und Interdependenzen lassen sich bei offiziell registrierter Kriminalität feststellen? Sind polizeiliche Auffälligkeiten im frühen Kindesalter ein Prädiktor für kriminelles Verhalten in späteren Lebensphasen? Inwieweit sind Entstehung und Entwicklung offiziell registrierter Kriminalität einem sozialen Wandel unterworfen? Von welchen deliktsspezifischen und biographischen Faktoren hängt die Sanktionswahl der Justiz ab und inwieweit wird auch sie durch den sozialen Wandel geprägt? Beeinflussen justizielle Interventionen die Delinquenzentwicklung?
Diese Fragestellungen zielen neben einer Analyse der Entscheidungsprozesse und der Auswirkungen institutionellen Reaktionen auf Delinquenz insbesondere auf die Abhängigkeit der Delinquenz von dem individuellen Alterungsprozess wie auch von dem damit einhergehenden gesellschaftlichen Wandel ab. Während Fragen nach im Lebenslauf in zeitlicher Abfolge auftretenden Ereignissen herkömmlicher weise durch eine Längsschnittserfassung von nur einem Geburtsjahrgang (Kohorte) geklärt werden könnten, erlaubt das spezielle Design dieser Studie mit zur Zeit sechs Kohorten, die Entwicklungen über die Zeit (Periode), d.h. den Einfluss des allgemeinen gesellschaftlichen Wandels, zu bestimmen. Dies ist möglich, da bestimmte Altersphasen, wie z.B. das Jugendalter der verschienenden Geburtsjahrgänge, jeweils in unterschiedliche zeitlich Kontexte (Perioden) fallen und so über diese Perioden verglichen werden können. Gleichzeitig ist es dadurch auch möglich, typische, von der jeweiligen Periode nicht beeinflusste Altersentwicklungen zu extrahieren und somit die Effekte des Alters und der Periode voneinander zu trennen. Damit können verschiedene Fragestellungen zur Kriminalitätsentwicklung sowohl in Abhängigkeit vom Alter wie auch im Rahmen des sozialen Wandels beantwortet werden, die anders aufgebauten Studien gar nicht oder nur schwer zugänglich sind:
- In welchem Alter und mit welcher Häufigkeit treten verschiedene Delikte auf?
- Wie entwickelt sich das Kriminalitätsaufkommen, differenziert nach Deliktstypen, über die Zeit?
- Gibt es dabei Verschiebungen in dem Deliktsspektrum, z.B. von eher leichten zu eher schweren Delikten?
- Lassen sich Änderungen des Kriminalitätsaufkommens eher auf eine Veränderung der Anzahl der meist nur wenige Male registrierten kurzzeitig aktiven Jugenddelinquenten oder eher auf Veränderungen bei chronisch Delinquenten zurückführen?
Um das in den aufgeführten Fragestellungen in den wesentlichen Punkten umrissene Forschungsprogramm durchzuführen, werden im Rahmen der Freiburger Kohortenstudie seit 1986 jährlich alle polizeilichen Registrierungen von Angehörigen der Geburtsjahrgänge 1970, 1973, 1975 und 1978 sowie 1985 und 1988 in Baden-Württemberg erfasst. Die polizeilichen Daten enthalten eine differenzierte Charakterisierung des registrierten Delikts einschließlich Angaben zu Mittätern, den Opfern und einigen weiteren Tatumständen. Gleichfalls wurden Angaben zu allen justiziellen Erledigungen, die diese Personen betreffen, gesammelt, soweit sie im Bundeszentralregister erfasst sind. Hierzu gehören sowohl Angaben zu den Delikten, als auch schwerpunktmäßig Angaben zu Art und Umfang der verhängten Sanktionen. Beide Datenquellen können personenbezogen verknüpft werden. Die Modalitäten der periodisch erfolgenden Datenziehungen sind so gewählt, dass die Erfassung vollständig erfolgt. Mittlerweile wurde eine umfangreiche Datenbasis geschaffen, die sich insbesondere hinsichtlich der erfassten Altersspannen auszeichnet.
Die im Rahmen der Studie zu den oben genannten Fragestellungen durchgeführten Arbeiten lassen sich folgenden drei Schwerpunkten zuordnen:
- Bereitstellung von Basisdaten: In der Freiburger Kohortenstudie werden Daten erfasst, die über Entwicklung und Verteilung der Registrierungshäufigkeiten und damit über die Kriminalitätsbelastung im Hellfeld Auskunft geben. Diese Daten sind mit denen der Polizeilichen Kriminalstatistik bzw. der Strafverfolgungsstatistik vergleichbar, gehen aber durch einen höheren Differenzierungsgrad und durch die besonderen Möglichkeiten der Studie deutlich über diese hinaus (z. B. ist die Angabe von über das Alter kumulierten Raten möglich). Sie sollen deshalb deskriptiv aufbereitet als Basisdaten der kriminologischen Forschung zugänglich gemacht werden. Hier ist auf die Arbeitsberichte zur Prävalenz und Inzidenz polizeilicher Registrierung und zu den Verfahrenseinstellungen nach §§ 45, 47 Jugendgerichtsgesetz hinzuweisen.
- Vertiefende Analysen: Unter die vertiefenden Analysen fallen, die unten einzeln aufgeführten, abgeschlossenen bzw. laufenden Promotionen im Rahmen der Studie.
Des Weiteren sei auf die Auswertungen zur offiziellen Registrierung sexueller Gewalt verwiesen, die innerhalb des Schwerpunkts Sexualstraftaten erstellt wurden.
Des Weiteren wurde die Thematik der Kriminalitätsbelastung von Immigranten unter besonderer Berücksichtigung der Aussiedler bearbeitet.
Dissertationen im Rahmen der Studie
- Christian Bareinske: Sanktion und Legalbewährung im Jugendstrafverfahren in Baden-Württemberg – Eine Analyse der Legalbewährung von jugendlichen Straftätern nach einer formellen bzw. informellen Erledigung des Verfahrens anhand der Freiburger Kohortenstudie (abgeschlossen);
- Sven Höfer: Sanktionskarrieren – Eine Analyse der Sanktionshärteentwicklung bei mehrfach registrierten Personen anhand von Daten der Freiburger Kohortenstudie (abgeschlossen);
- Carina Tetal: Deliktsähnlichkeiten (abgeschlossen).
Publikationen