Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Entwicklung der Kriminalität am Beispiel Baden-Württembergs (COVID-19-KRIM)

Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Entwicklung der Kriminalität am Beispiel Baden-Württembergs (COVID-19-KRIM)

Das Projekt untersucht die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Kriminalitäts­entwick­lung am Beispiel Baden-Württembergs während der Jahre 2019 bis 2021. Hierzu werden raum-zeitliche Analysen der Kriminalitätsentwicklung im Zusammenhang mit Mobilitätsdaten und einer Vielzahl sozio­ökono­mi­scher und geographischer Daten durchgeführt. Ein Projektteil befasst sich vertiefend mit der häuslichen Gewalt gegen Partner*innen und Kinder und den Pandemie-bedingten Hindernissen einer effektiven Hilfe und Unter­stüt­zung dieser besonders vulnerablen Opfergruppen. Das Projekt soll durch die Entwicklung innovativer geogra­phi­scher Analyse- und Visualisierungstools für den Bereich der Eigentums- und Gewaltkriminalität sowie durch Handlungsempfehlungen die Arbeit der Polizei und der Opferhilfeeinrichtungen unterstützen.

 
Projektdauer: 2021 bis 2025
Foto: © Sabrina Bracher / iStock

 

Die gesellschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie betreffen auch die Kriminalität. Es hat sich bereits gezeigt, dass einige Formen der Kriminalität wie Wohnungseinbruch und Raub während des Lockdowns im Frühjahr 2020 vor­über­gehend deutlich abgenommen haben. Dies entspricht der grundlegenden kriminologischen Erkenntnis, dass die räum­liche und zeitliche Verteilung vieler Kriminalitätsformen den legalen Alltagsroutinen der Menschen folgt. Insbe­son­de­re Gewaltdelikte im öffentlichen Raum sind stark auf einige „Hot Spots“ innerhalb der Städte konzentriert, wo sich Geschäftszentren und Gastronomie befinden, und sich deswegen zu bestimmten Zeiten viele Menschen aufhalten. Durch die im Lockdown veränderten Alltagsroutinen könnte es nicht nur zu Kriminalitätsrückgängen, sondern auch zu räumlichen und zeitlichen Verlagerungen von Kriminalitätsschwerpunkten kommen, etwa von den innerstädtischen „Hot Spots“ in weniger zentrale Räume.

Entgegen einer optimistischen Erwartung zu Beginn der Pandemie ist es nicht bei einem einzigen und relativ kurzen Lock­down geblieben, sondern Beschränkungen des öffentlichen Lebens wie z.B. Schließungen von Betrieben, Schulen, Geschäften, Kultureinrichtungen und Gastronomie haben den Alltag und das Freizeitverhalten der Menschen unter­schied­lich lange und unterschiedlich intensiv behindert und tun dies teilweise noch heute. Wie sich das Kriminalitäts­gesche­hen in diesem längeren Übergang in eine „neue Normalität“ entwickeln wird, ist noch unbekannt und sollte daher systematisch betrachtet werden.

Zudem wird vielfach befürchtet, dass die häusliche Gewalt gegen Partner*innen und Kinder während der Pandemie zu­ge­nom­men hat, und diesen Opfern gleichzeitig der Zugang zu Hilfseinrichtungen und Polizei erschwert wurde. Daher bildet die Analyse der Pandemie-bedingten Veränderungen im Bereich der häuslichen Gewalt und der darauf bezogenen Hilfeangebote einen eigenen Schwerpunkt des Projekts.
 

Modul A: Raum-zeitliche Analyse der Kriminalitätsentwicklung im Zusammenhang mit dem Mobilitätsverhalten

Aus kriminologischer Sicht stellt die Covid-19-Pandemie ein historisch einmaliges „natürliches Experiment“ dar. Noch ist sehr wenig darüber bekannt, wie veränderte Alltagsroutinen und Gelegenheiten die räumlichen und zeit­lichen Muster von Kriminalität im Einzelnen beeinflussen. Die aktuelle Entwicklung lässt weitaus stärkere Aussagen über kausale Effekte von Gelegenheitsstrukturen zu als dies normalerweise möglich wäre. Ein ausschließlicher Fokus auf Gelegenheiten wür­de der sozialen Realität der Kriminalität jedoch nicht gerecht. Soziale Probleme und Faktoren, die die Motivation poten­zi­el­ler Täter*innen beeinflussen sowie deren Wechselwirkungen mit Gelegen­hei­ten bleiben für das Verständnis von Krimi­na­li­tät unverzichtbar.

Für die geplante Analyse spielen neben polizeilichen Kriminalitätsdaten detaillierte Daten zur räumlichen Infra­struk­tur und zum Mobilitätsverhalten der Bevölkerung in Baden-Württemberg auf unterschiedlichen räumlichen Ebenen bis hin zu kleinen Gebieten innerhalb von Großstädten eine zentrale Rolle. Ein wichtiges Projektziel ist daher, den Nutzen anony­mi­sier­ter Mobilitätsdaten für die wissenschaftliche Analyse und für die polizeiliche Praxis erstmals in Deutschland sys­te­ma­tisch zu erkunden.

Die Erkenntnisse der Modellrechnungen sollen in die Entwicklung innovativer, GIS-basierter Analyse- und Visualisie­rungs­tools einfließen, die die Polizeiarbeit unterstützen könnten. Die ethisch-politischen Konsequenzen und Risiken dieser Datenanalysen und Instrumente (Stichworte Big Data, Smart City) sollen kontrovers mit Expert*innen und Praktiker*innen diskutiert werden.

Modul B: Entwicklung von Gewalt gegen Partner*innen und Kinder

Im Modul B stehen die Entwicklungen von Gewalt gegen Partner*innen und Kinder (GPK) im Fokus. Hierzu werden zum einen Daten von polizeilich registrierten Fällen und Statistiken von Hilfeeinrichtungen quantitativ analysiert und mit so­zio­demografischen und Mobilitätsdaten in Zusammenhang gebracht. Zum anderen werden halbstrukturierte Interviews mit Fachkräften verschiedener Institutionen wie Beratungsstellen, Frauenschutzhäusern, Jugendamt und Schulsozial­arbeit durchgeführt. Die qualitative Auswertung dieser Interviews soll zu einem besseren Verständnis der Auswirkungen der Pandemie auf die Arbeitsweise der Einrichtungen, auf mögliche Veränderungen von Quantität und Qualität des Un­ter­su­chungs­phänomens und auf Betroffene und Hilfesuchende beitragen. Ziel ist es, aufbauend auf den Erkenntnissen aus beiden Forschungsansätzen Schlussfolgerungen bezüglich der GPK beeinflussenden Faktoren auf individueller und gesellschaftlicher Ebene ziehen zu können und konkrete Präventionsstrategien und Handlungsleitfäden zu konzipieren, die wiederum in die Praxis der Betroffenenhilfe zurückgespielt werden sollen.

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