Steigt die Kriminalität in Deutschland?
Kriminologe Dietrich Oberwittler ordnet Deliktzahlen ein
In den vergangenen Monaten hat es hierzulande einige schwere Verbrechen gegeben, etwa den Messerangriff in Aschaffenburg oder die Amokfahrt von Magdeburg. Durch die intensive Medienberichterstattung und emotional geführte Debatten im Bundestagswahlkampf ist bei vielen Menschen der Eindruck entstanden, dass Deutschland sich zu einem sehr gefährlichen Land mit einer hoher Kriminalitätsrate entwickelt habe. Doch ist das wirklich so?

„Deutschland ist grundsätzlich ein sicheres Land“, sagt Kriminologe Dietrich Oberwittler. Blicke man auf die Entwicklung der vergangenen 20 bis 30 Jahre, sei die Kriminalität zum Teil deutlich gesunken, erklärt der Wissenschaftler, der am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht eine unabhängige Forschungsgruppe leitet und sich schon seit Jahrzehnten mit dem Thema befasst.
Die starke Fokussierung des Wahlkampfs auf das Thema „Migrantenkriminalität“ ist laut Oberwittler von der realen Kriminalitätsentwicklung nicht gedeckt – zumal, wenn man nicht nur auf die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) schaue, sondern auch Dunkelfeldbefragungen berücksichtige. Dann gebe es auch bei Gewaltkriminalität wenig Anzeichen für eine Zunahme.
Gleichzeitig sieht Oberwittler auch, dass es bestimmte Gruppen von Migranten gibt, die durch kriminelles Verhalten auffallen, beispielsweise Migranten aus Nordafrika. Seit 2022 gebe es in der Kriminalitätsstatistik einen Anstieg bei nichtdeutschen Jugendlichen. Bei ihnen haben sich die Tötungsdelikte seit 2021 verdoppelt – „aber auf sehr niedrigem Niveau“, sagte er gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Als gefragter Kriminologe war Dietrich Oberwittler auch Interview-Gast bei der Monitor-Dokumentation „Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird“. In der Dokumentation ging es unter anderem darum, die Zahlen der PKS einzuordnen.
Die PKS zählt alle Straftaten, die von der Polizei in einem bestimmten Zeitraum ermittelt werden. Auf den ersten Blick erscheinen die Zahlen alarmierend: In nahezu allen Bereichen haben die Straftaten im vergangenen Jahr zugenommen. In der Sendung wird jedoch klar: Die Zahlen müssen richtig eingeordnet werden, manche Daten haben nur eine begrenzte Aussagekraft, und die längerfristigen Trends widersprechen dem Eindruck eines starken Anstiegs der Gewaltkriminalität.
Oberwittler betont zudem, dass die PKS nicht alle Delikte registriert, es gebe „ein riesiges Dunkelfeld“ und andere systematische Verzerrungen. „Beim Anzeigeverhalten weiß man von Studien, dass jeder Fall nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, angezeigt zu werden“, sagt der Kriminologe. So gebe es Hinweise darauf, dass nichtdeutsche Täter eher angezeigt werden als Deutsche. Klar sei auch, dass die Sensibilität in der Gesellschaft gegenüber Gewalt zugenommen habe. Das zeige sich insbesondere bei jungen Frauen und sexueller Gewalt, die viel stärker wahrgenommen werde, als es früher der Fall war. In der Folge wird diese auch häufiger zur Anzeige gebracht.
Daher könne die PKS „nur sehr eingeschränkt“ als eine gute Messung der Kriminalität in Deutschland angesehen werden, so der Wissenschaftler. „Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt“, ist sich der Experte sicher.
Oberwittler bezweifelt nicht, dass es unsichere Ecken und Angsträume gibt. „Aber diese Orte haben sich in den letzten Jahren nicht vermehrt“, sagte er der FAZ. Die Anschläge der letzten Monate haben für ihn einen „enormen Impact“ auf das Sicherheitsempfinden der Menschen. „Spektakuläre Einzelfälle erzeugen immer eine kurzfristige Angst. Aber das ist eher eine öffentliche Panik“. Regelmäßig wiederholte Bevölkerungsbefragungen zeigen sogar, dass das Sicherheitsgefühl in Deutschland in den letzten 30 Jahren gestiegen ist.
Dietrich Oberwittler im Pressespiegel (Auswahl):
„Das Gefühl, nicht mehr sicher zu sein“ – Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 08.04.2025 (Paywall)
„Volk in Angst: Wie mit Verbrechen Politik gemacht wird“ – WDR Fernsehen 24.04.2025
SWR Aktuell Sendung 19:30 Uhr vom 25.04.2025