Die Ex-post Triage aus rechtlicher Perspektive

Video-Vortrag von Tatjana Hörnle
 

12. September 2022

Das neue Infektionsschutzgesetz, das die Ex-post-Triage im Fall pandemiebedingter Ressourcenknappheit verbietet, wird von Wissenschaftler*innen aus Medi­zin, Ethik und Recht deutlich kritisiert. Das Gesetz schließt aus, dass bereits laufende lebenserhaltende Thera­pi­en bei sehr schlechter Erfolgsaussicht zugunsten der Behandlung von Menschen mit einer besseren Überlebens­chance beendet werden dürfen. Als Folge kann es passieren, dass die Intensivstationen mit Patienten mit langen Liegezeiten belegt sind und damit faktisch geschlossen werden, warnt die Strafrechtsprofessorin und Rechtsphilosophin Tatjana Hörnle in einem Video-Vortrag.

 

Wer ein dringend benötigtes Intensivbett bekommt, sollte allein die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit der Patientinnen und Patienten regeln  – und nicht ein „wer zuerst kommt“-Kriterium. Das neue Infektionsschutzgesetz aber lässt keine Re-Evaluierung darüber zu, ob ein Intensivbett, das mit einer Patientin oder mit einem Patienten mit sehr geringer Überlebenswahrscheinlichkeit belegt ist, für einen Menschen mit einer deutlich höheren Überlebenswahrscheinlichkeit freigegeben werden darf. Die sogenannte „Ex-post-Triage“ wird in dem Gesetz explizit verboten.

Diese de-facto-Schließung der Intensivstationen könnte  – wenn sie denn im Extremfall eintritt  – verheerende Folgen für uns alle haben, sagte Tatjana Hörnle in einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). „Es bedarf nicht viel Phantasie, um sich die gesellschaftlichen und politischen Reaktionen auszumalen, wenn wir in einer Situation sind, in der Menschen mit Herzinfarkt, mit Schlaganfall oder einem Unfall vor den Türen der Intensivstationen sterben, weil alle Intensivbetten belegt sind und eine Re-Evaluation nicht möglich ist“, so die Rechtswissenschaftlerin.

„Wer soll intensivmedizinisch behandelt werden, wenn die Ressourcen nicht ausreichen?“ Webinar der AWMF vom 6.9.2022

 

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