
Criminalising Carelessness? – Vergleichende und interdisziplinäre Perspektiven auf die strafrechtliche Haftung für unbewusste Fahrlässigkeit
Workshop von 29.–31. August 2024 in Freiburg i. Br.
Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht
Können wir Menschen für Verbrechen bestrafen, von denen sie nicht einmal wussten, dass sie sie begangen haben? Letztlich betrifft die Antwort auf diese Frage den Kern der Strafbarkeit unbewusster Fahrlässigkeit. Aber Rechtskreise reagieren darauf sehr unterschiedlich. Während die meisten Rechtsordnungen des civil law kein Problem mit der Bestrafung unbewusster Fahrlässigkeit zu haben scheinen, ist ihre Kriminalisierung in den Rechtsordnungen des common law umstritten. Und obwohl die meisten anglo-amerikanischen Strafrechtstheoretiker an dem Grundsatz actus non facit reum, nisi mens sit rea festhalten, verbreitet sich die Bestrafung von unbewusster Fahrlässigkeit (negligence) und sogar die verschuldensunabhängige Haftung der strict liability in der Rechtspraxis immer mehr. Obwohl das Thema in der anglo-amerikanischen und der deutschen Strafrechtswissenschaft seit langem diskutiert wird, hat es erstaunlicherweise kaum einen Austausch zwischen den Rechtskreisen gegeben, und beide konnten zu wenig von den Erkenntnissen des jeweils anderen profitieren.
Vom 29. bis zum 31. August 2024 hat das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität Sicherheit und Recht einen Workshop ausgerichtet, der sich mit den theoretischen, doktrinären und praktischen Fragen der unbewussten Fahrlässigkeit befasste. Ein besonderer Schwerpunkt wurde darauf gelegt, was wir dem Täter genau vorwerfen: Was ist strafrechtlich falsch daran, unachtsam zu sein, und ist dieser strafrechtliche Vorwurf aus juristischer und sogar aus philosophischer und psychologischer Sicht haltbar? Durch die Zusammenführung von Wissenschaftlern aus verschiedenen Rechtsordnungen und Disziplinen, wie der Philosophie, Psychologie und Strafrechtstheorie, bot der Workshop eine Plattform für eine lebhafte internationale und interdisziplinäre Debatte und versuchte, neue Antworten auf ein altes Problem zu geben.
Programm
Wednesday, 28 August 2024 | |
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– Arrival – |
Thursday, 29 August 2024 | |
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09:15–10:00 | Registration |
10:00–10:15 | Philipp-Alexander Hirsch (Freiburg) Welcome and Introduction |
10:15–11:15 | Gunnar Duttge (Göttingen) Fundamental Questions on Inadvertent Negligence from the Perspective of German Criminal Law |
11:15–12:15 | Mark Dsouza (London) Chosen Negligence |
12:15–13:45 | – lunch break – |
13:45–14:45 | Veronica Rodriguez-Blanco (Surrey) Settling the Terms for Understanding Negligent actions: Two Models of Deliberation |
14:45–15:45 | Boris Burghardt (Marburg) Inadvertent Negligence and Moral Luck |
15:45–16:15 | – coffee break – |
16:15–17:45 | Manuel Cordes (Freiburg) The Semantics of Avoidability Alexander Greenberg (Southampton) Could Have Known Better |
18:30 | – dinner (speakers only) – |
Friday, 30 August 2024 | |
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09:30–11:00 | Jan Rummel (Heidelberg) Remembering Intentions: A Special Cognitive Challenge Johannes Stefan Weigel (Göttingen & Freiburg) The (Un)Avoidability of Negligence |
11:00–11:30 | – coffee break – |
11:30–12:30 | Heidi Hurd (Illinois) & Michael Moore (Illinois) The Non-Punishability of Negligence |
12:30–14:00 | – lunch – |
14:00–15:00 | Jan C. Schuhr (Heidelberg) Two Models of Carelessness: Extraordinary Imputation vs. Breach of Duty |
15:00–16:00 | Findlay Stark (Cambridge) Constrained Negligence |
16:00–16:30 | – coffee break – |
16:30–17:30 | Svenja Schwartz (Freiburg) Unconscious Negligence from the Perspective of Functionalism |
18:00 | – dinner (speakers only) – |
Saturday, 31 August 2024 | |
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09:30–10:30 | Malcolm Thorburn (Toronto) Against the Criminalization of Inadvertent Negligence – a State-Centric Account |
10:30–11:00 | – coffee break – |
11:00–12:00 | Morten Boe (Freiburg) Criminal Negligence and the Constitution – A Canadian-German Perspective |
12:00–13:00 | Georgia Stefanopoulu (Hannover & Leipzig) Should We be Less Careless with Carelessness? |
13:00 | Closing Remarks |
13:15 | – restaurant (speakers only) – |
Sunday, 1 September 2024 |
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– Departure – |
Ausblick
Die Beiträge der Tagung sollen in einem international sichtbaren Sammelband veröffentlicht werden, der zentrale Thesen und Kontroversen zur Strafbarkeit unbewusster Fahrlässigkeit zusammenführt und um neue Perspektiven ergänzt.
Über uns
Der Workshop wird von Johannes Stefan Weigel und Dr. Dr. Philipp-Alexander Hirsch organisiert.

Johannes Stefan Weigel ist Doktorand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Uwe Murmann an der Georg-August-Universität Göttingen und Mitglied der Unabhängigen Forschungsgruppe „Strafrechtstheorie“. In seiner Dissertation widmet er sich dem Problem der Strafbarkeit der unbewussten Fahrlässigkeit und hat damit den Anstoß für diesen Workshop gegeben.
Philipp-Alexander Hirsch ist Leiter der unabhängigen Forschungsgruppe „Strafrechtstheorie“ am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht, in der Rechtsphilosophie und Rechtstheorie sowie in der Strafrechtsgeschichte und -philosophie der Aufklärung.
Die Forschungsgruppe „Strafrechtstheorie“ widmet sich der Analyse des Straf- und Strafprozessrechts und seiner Dogmatik mit Blick auf die zugrundeliegenden normativen Strukturen und Prinzipien, um diese auf ihre Kohärenz, Begründbarkeit und Überzeugungskraft hin zu überprüfen. Ziel ist es, hierauf aufbauend normative Theoriebildung zu betreiben, die Lösungsvorschläge für strafrechtliche Probleme auch jenseits positivrechtlicher Vorgaben unterbreitet.
Ablauf und Impressionen
Vom 29. bis 31. August 2024 richtete die Forschungsgruppe „Strafrechtstheorie“ am Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht die Tagung „Criminalising Carelessness? – Comparative and Interdisciplinary Perspectives on Criminal Liability for Inadvertent Negligence“ aus. Sie bot eine lebhafte Plattform für einen internationalen und interdisziplinären Austausch zur Frage, ob und inwieweit unbewusste Fahrlässigkeit strafrechtlich sanktioniert werden darf und sollte.
Die Vorträge der Tagung setzten an unterschiedlichen Punkten an – von rechtsdogmatischen und verfassungsrechtlichen Grundlagen bis hin zu psychologischen und moralphilosophischen Ansätzen. Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob strafrechtliche Verantwortlichkeit und Schuld dem Täter auch dann zugeschrieben werden können, wenn ihm eigentlich jedes Bewusstsein des eigenen Fehlverhaltens fehlt. Eine zentrale Rolle spielten Überlegungen zu den Bedingungen für die Zurechnung fahrlässigen Handelns und zu den Anforderungen, die eine freiheitliche Rechtsordnung an die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit eines schädigenden Verhaltens stellt.
Der interdisziplinäre Austausch verdeutlichte, wie komplex das Zusammenspiel von individuellen kognitiven Fähigkeiten, ethischen und rechtlichen Prinzipien sowie institutionellen Rahmenbedingungen ist. Durch Vergleiche verschiedener Rechtsordnungen gelang es den Teilnehmenden zudem, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Behandlung unbewusster Fahrlässigkeit herausarbeiten.
Die Beiträge der Tagung sollen in einem international sichtbaren Sammelband veröffentlicht werden, der zentrale Thesen und Kontroversen zur Strafbarkeit unbewusster Fahrlässigkeit zusammenführt und um neue Perspektiven ergänzt.








