In einem Leiturteil zum Beweismaß hat der BGH 1970 ausgeführt, dass für die richterliche Überzeugung ein »Grad von Gewissheit« gefordert sei, der unterhalb einer »von allen Zweifeln freien Überzeugung« liegen mag, aber über eine bloß »an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit« hinausgeht. Ersteres fordere das Beweisrecht nicht, Letzteres reiche nicht aus (BGHZ 53, 245 ff.). Aus erkenntnistheoretischer Sicht ist klärungsbedürftig, ob in diesen engen Korridor noch ein doxastischer Zustand hineinpasst. Im BGH-Urteil ist von der »Überzeugung«, der »Wahrheit einer Behauptung« und dem erforderlichen »Grad an Gewissheit«, die Rede, aber der Begriff des
Wissens, in dem diese Elemente zusammenfließen und aufeinander bezogen werden, wird vermieden. In der Erkenntnistheorie ist umstritten, ob die unaufhebbare menschliche
Fehlbarkeit mit der Annahme zusammenpasst, dass Menschen Wissen erlangen können. Der Vortrag skizziert die Grundzüge eines
fallibilistischen Wissensbegriffs und vergleicht die Herausforderung, einen angemessenen Korridor für das Beweismaß zu spezifizieren, mit der erkenntnistheoretischen Herausforderung, die menschliche Irrtumsanfälligkeit mit dem Wissensanspruch zu vereinbaren.
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