
Kriminalität, Unsicherheit und soziale Dynamiken städtischer Wohngebiete
Das zentrale Ziel der Studie „Kriminalität, Unsicherheit und soziale Dynamiken städtischer Wohngebiete“ ist es, die Beziehungen zwischen Kriminalitätsproblemen und der sozialen Entwicklung von städtischen Wohngebieten im Quer- als auch Längsschnitt besser zu verstehen. Zentrale Fragen sind: Wie nehmen Bewohnerinnen und Bewohner Kriminalität und Unordnung wahr und wie entwickeln sich das kollektive Sozialkapital und interethnische Beziehungen? Hierbei liegt besonders der Fokus auf sozialen Mechanismen in der Entwicklungsdynamik von städtischen Räumen. Dieses Projekt markiert Phase 2 einer Langzeitstudie von 139 Wohngebieten in Köln und Essen (Nordrhein-Westfalen).
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Forschungsthema
Zentrale Fragestellungen sind die Veränderungen von Vertrauen, sozialem Zusammenhalt und Unsicherheitswahrnehmungen in großstädtischen Wohngebieten im Zeitverlauf. Kriminalitätsbezogene Unsicherheitswahrnehmungen sind nicht nur für das eigene Wohlbefinden relevant, sondern können auch den sozialen Zusammenhalt auf der kollektiven Ebene beeinflussen.
In den letzten Jahren wurde unter anderem die Bedeutung der zunehmenden ethnischen Heterogenität in westlichen Gesellschaften für den sozialen Zusammenhalt und das Sicherheitsgefühl diskutiert, aber auch Indikatoren des sozio-ökonomischen Hintergrunds und die Kriminalitätsentwicklung können relevante Faktoren sein. Die meisten Studien haben entsprechende Zusammenhänge im Querschnitt untersucht, und Längsschnittstudien sind selten.
Die Migrationsbewegung der Jahre 2015/16 und die räumlich sehr unterschiedliche Zunahme der ethnischen Heterogenität in urbanen Wohngebieten kann in unserer Studie dazu genutzt werden, Veränderungen im sozialen Zusammenhalt und in den Unsicherheitswahrnehmungen im Zeitverlauf genauer zu untersuchen und damit kausalen Wirkungen näher zu kommen. Ebenso können durch die Wiederholungsbefragung im Abstand von zwölf Monaten die Auswirkungen einer Viktimisierung auf das Sicherheitsgefühl und die Lebensqualität viel genauer untersucht werden als dies in einer Querschnittsstudie möglich wäre. In Zeiten der Pandemie sind auch die Corona-spezifischen Erfahrungen und Belastungen Gegenstand der Befragung gewesen.
Projektbeschreibung
Nach der ersten Projektphase 2014/15 startete die zweite Phase im Herbst 2020 in denselben Wohngebieten mit einer neuen Zufallsstichprobe von Befragten. Diese werden wie im Vorgängerprojekt SENSIKO zweimal befragt. Für die Vergleichbarkeit sind die Abläufe der Befragung und große Teile des Fragbogens der beiden Phasen identisch. Unterschiede zwischen den zwei Phasen gibt es im Befragungsmodus: Während die erste Befragung nur postalisch durchgeführt wurde, haben wir für die zweite Phase eine Kombination von postalischer und Webbefragung gewählt. Der frühere Themenschwerpunkt auf ältere Menschen wird in der zweiten Phase nicht weiterverfolgt.
Die erste Befragung begann Mitte Oktober 2020 und war bis Ende 2020 weitgehend abgeschlossen. Die Nettostichprobe umfasst knapp 5000 Befragte. Davon haben ca. 3600 den postalischen Weg und ca. 1400 die Online-Teilnahme gewählt. Die zweite Befragungswelle fand von Oktober 2021 bis Januar 2022 statt. Die zweite Welle umfasst noch ca. 3100 Befragte, von denen ca. 1500 eine Online-Teilnahme und 1600 eine postalische Befragung gewählt haben. In der zweiten Welle wurde ein Push-to-Web Ansatz verfolgt, und die Befragten erhielten ein unkonditionales Incentive.
Erste Welle der zweiten Befragung: Erste Befragungsergebnisse – Schlaglichter 2020
Fast 90 % der Befragten fühlen sich in ihrem Wohngebiet zu Hause, und 75 % würden einen Wegzug bedauern, von den über 70-Jährigen sogar 85 %. 60 % der Befragten beobachten in ihrem Wohngebiet häufig herumliegenden Müll. Fast 80 % der Frauen, aber nur 30 % der Männer unter 30 Jahren halten auf dem Heimweg Kontakt per Handy zu einer vertrauten Person, um sich vor Kriminalität zu schützen. Die Corona-Pandemie beeinträchtigt Bürger*innen: Zwei Drittel der Befragten sind über eine mögliche Wirtschaftskrise nach der Corona-Pandemie besorgt.
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 haben viele Befragte ihren Nachbarn Hilfe angeboten, zum Beispiel beim Einkaufen (Abb. 1). Am häufigsten haben dies zu mehr als 50 % die mittleren Altersgruppen zwischen 35 und 70 Jahren getan. Diese Hilfe ist vor allem bei den älteren Befragten über 70 Jahren angekommen. Von diesen haben 56 % berichtet, dass Ihnen Hilfe angeboten wurde.
Nur eine Minderheit von etwa 39 % der Befragten glaubt, dass der Zusammenhalt der Menschen in ihrem Wohngebiet seit Beginn der Corona-Krise stärker geworden ist (Abb. 2). Befragte, die bereits sehr viele Kontakte mit Nachbarn haben, schätzen den Zusammenhalt viel positiver ein als Befragte, die keine oder wenige Kontakte mit ihren Nachbarn pflegen. Persönliche Erfahrungen sind also wichtig.
Zwei Drittel der Befragten fühlen sich in ihrem Wohngebiet auch nach Einbruch der Dunkelheit sicher, aber ein Drittel fühlt sich unsicher (Abb. 3). Fast die Hälfte meidet in ihrem Wohngebiet im Dunkeln bestimmte Straßen oder Plätze, etwa 20 % der Befragten bleiben im Dunkeln lieber ganz zu Hause. Wer Opfer von Gewalt oder Pöbeleien wurde, fühlt sich besonders unsicher.


