Ein Eid gegen Steuerhinterziehung
Megastudie untersucht, wie die richtige Formulierung zu mehr Ehrlichkeit führen kann
Waren Sie schon einmal in Ihrer Steuerklärung unehrlich, um weniger Steuern zahlen zu müssen? Hätte Sie ein schriftlicher „Ehrlichkeitseid“, den Sie unterschreiben müssen, vielleicht davon abgehalten? Ja, das ist wahrscheinlich, sagt eine Gruppe von mehr als 40 internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die dieses Phänomen in einer Mega-Studie mit über 21.000 Probandinnen und Probanden mit Hilfe einer umfangreichen psychologischen Untersuchung – einer Art Steuerhinterziehungsspiel – analysiert haben. Das erstaunliche Ergebnis: Wurde der Ehrlichkeitseid richtig formuliert und den Teilnehmenden zum richtigen Zeitpunkt vorgelegt, reduzierten sich die Steuerverluste in der Simulation um bis zu fast 50 %.
Eide begegnen uns in unserer Gesellschaft an verschiedenen Stellen: vor Gericht in Form von eidesstattlichen Zeugenaussagen, in der Medizin (etwa beim hippokratischen Eid) oder bei bestimmten Berufsgruppen und Amtsträgern (Amtseid). Wird der Eid gebrochen, drohen strafrechtliche Konsequenzen.
In der Psychologie ist es Konsens, dass Ehrlichkeitseide dazu führen können, dass sich Einzelpersonen verpflichtet fühlen, die Wahrheit zu sagen. Tiefgehend untersucht wurde dies aber bislang noch nicht. Das hat sich mit der neuen Studie nun geändert. Hierfür kamen 42 Forschende aus zehn europäischen Ländern, Israel und den USA zusammen, darunter auch zwei Wissenschaftlerinnen des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg und ein Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Gemeinsam rekrutierten sie insgesamt 21.506 Probandinnen und Probanden aus Großbritannien und den USA mit Hilfe der für diese Zwecke konzipierten Plattform Prolific.com.
Die Teilnehmenden wurden aufgefordert, ein extra für diese Studie entwickeltes Online-„Steuerhinterziehungsspiel“ zu spielen. Im Groben war dieses folgendermaßen aufgebaut: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer generieren ein gewisses Einkommen, das sie mit einem Steuersatz von 35 % des Einkommens versteuern müssen. Das Einkommen nach Steuern wird an die Teilnehmenden ausgezahlt, während die eingenommenen Steuern an eine Wohltätigkeitsorganisation (konkret das Britische bzw. das Amerikanische Rote Kreuz) fließen. Hiermit soll den Probanden veranschaulicht werden, wie Steuern innerhalb einer Gesellschaft eingesetzt werden können. Gleichzeitig aber setzt das Spiel auch Anreize, das tatsächliche Einkommen zu niedrig anzugeben, um mehr Einkommen für sich selbst zu behalten. In manchen Szenarien müssen die Teilnehmenden Ehrlichkeitseide ablegen, entweder vor Beginn der Einkommensgenerierung oder direkt vor der Meldung ihres Einkommens.
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Einzelnen:
- 86 % der Probandinnen und Probanden führten ihre Steuern ehrlich ab. Insgesamt gingen dadurch 14 % der möglichen Summe durch Steuerhinterziehung verloren.
- Personen, die einen Eid ablegten, waren tendenziell bei der Angabe der fälligen Steuern ehrlicher als Personen ohne Eid. Dabei spielte die Form des Eids eine Rolle: Musste der Eid nochmal abgetippt werden, waren die Teilnehmenden tendenziell ehrlicher als wenn sie nur ein Kästchen ankreuzten. Wichtig war vor allem aber auch, dass der Eid sehr konkret formuliert war und dass die Konsequenzen des falschen Handelns für die Gesellschaft deutlich formuliert wurden.
- Teilnehmende, die den Eid direkt vor der Meldung ihres Einkommens ablegten, waren ehrlicher als die Probanden, die den Eid ganz am Anfang des Spiels ablegten. Dies legt nahe, dass eine zeitliche Nähe des Eids wichtig ist.
- Besonders anfällig für Steuerhinterziehung waren junge Männer, die ein niedriges Maß an Ehrlichkeit-Bescheidenheit (Englisch: honesty-humility) aufwiesen. Ehrlichkeit-Bescheidenheit ist nach dem in der Psychologie häufig verwendeten HEXACO-Modell einer aus sechs Faktoren, der die menschliche Persönlichkeit auszeichnet. Menschen mit einer niedrigen Ausprägung an Ehrlichkeit-Bescheidenheit gelten als unfair, bestechlich und geizig; sie halten sich wenig an gesellschaftliche Regeln.
- Die Teilnehmenden aus Großbritannien waren im Durchschnitt ehrlicher als die US-Probanden. Hierbei könnten die unterschiedlichen Steuersysteme und kulturelle Unterschiede eine Rolle spielen. Um treffendere Aussagen machen zu können, sind weitere Untersuchungen notwendig.
Konkrete Formulierungen sind besonders effektiv
„Es ist schwer, die Ergebnisse der Studie zu verallgemeinern; wir wissen nicht, ob sie auf andere kulturelle Kontexte übertragbar sind“, erklärt Max-Planck-Wissenschaftlerin Isabel Thielmann, die sich vor allem mit (un)moralischem und (un)sozialem Verhalten befasst. Trotz dieser Einschränkungen liefere die Studie aber Erkenntnisse, die dabei helfen können, Eide zu formulieren und die Ehrlichkeit von Menschen zu erhöhen.
Es ist wichtig, den Eid so konkret wie möglich zu formulieren, betont Thielmann. „Hiermit verpflichte ich mich, bei der Meldung meines Einkommens in der Steuererklärung korrekte Angaben zu machen“ sei etwa deutlich konkreter als ein allgemeiner Satz wie „Hiermit erkenne ich die Grundsätze ethisch einwandfreien Verhaltens an“. Außerdem werde das Pflichtgefühl eher angesprochen, wenn ein Text eigenhändig abgetippt werden müsse.
„In der Zukunft wird es hierzu sicher weitere Untersuchungen geben müssen“, ergänzt Alicia Seidl, die als Doktorandin von Thielmann ebenfalls an der Studie beteiligt war. „Dennoch können wir schon jetzt konkrete Empfehlungen für wirksame Ehrlichkeitseide formulieren und die Welt vielleicht dadurch etwas gerechter machen.“
Die Studie ist kürzlich in der renommierten Zeitschrift „Nature Human Behaviour“ erschienen.