Medizinische Fachgesellschaften und Rechts­experten kritisieren Verbot der „Ex-post-Triage“

Einladung zu Online-Diskussion

26. August 2022

Der im Bundeskabinett abgestimmte und am 24. August veröffentlichte Gesetzentwurf zur „Triage“ intensiv­medi­zi­ni­scher Behandlung im Fall pandemiebedingter Ressourcenknappheit wird von Wissenschaftler*innen aus Medi­zin, Ethik und Recht deutlich kritisiert. Der Gesetzentwurf schließt aus, bereits laufende lebenserhaltende Thera­pi­en bei sehr schlechter Erfolgsaussicht zugunsten der Behandlung von Menschen mit einer besseren Überlebens­chance zu beenden. Vertreter zahlreicher medizinisch-wissenschaftlicher Fachgesellschaften und Juristinnen und Juristen hatten diese Regelung bereits im Vorfeld kritisiert, da sie die Anwendung des Kriteriums der Überlebens­wahr­schein­lich­keit erschwert und zu mehr vermeidbaren Todesfällen führt.

Grundsätzlich Unterstützung für gesetzliche Regelung

Bereits im Juli hatten in zwei aufeinander abgestimmten Stellung­nahmen 25 medizinisch-wissenschaftliche Fach­gesell­schaf­ten und 16 ausgewiesene Rechtsexpertinnen und -experten Position zum Refe­ren­ten­entwurf bezogen. „Die zügige und konstruktive Ab­stim­mung sowie die breite interdisziplinäre Unterstützung für die Inhalte ma­chen deutlich, wie wich­tig das Thema aus Sicht der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften ist“, sagt der Präsident der Arbeits­gemein­schaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fach­ge­sell­schaften (AWMF), eines deutschen Dachverbands von 182 Fach­gesellschaften der Medizin, Rolf-Detlef Treede.

Sowohl die medizinischen Fachgesellschaften als auch die Juris­tin­nen und Juristen begrüßen eine gesetzliche Rege­lung der Zuteilung pandemiebedingt nicht ausreichender intensiv­medi­zi­ni­scher Be­hand­lungskapazitäten. Inhaltlich wird die im Gesetzesentwurf vorge­se­he­ne Zuteilung nach dem Kriterium der Erfolgsaussicht begrüßt, da dies nach Einschät­zung der Fachexperten die Anzahl der knapp­heits­beding­ten Todes­fäl­le minimieren kann, falls einmal die Nachfrage die Anzahl der verfügbaren Intensivbetten überschreiten sollte. „Die ge­setz­liche Regelung ist darüber hinaus wichtig, damit Ärztinnen und Ärzte eine demokratisch legitimierte Grundlage für die schwierigen Zuteilungsentscheidungen und Rechts­sicherheit haben“, sagt Uwe Janssens, Intensivmediziner und Mitinitiator der Stellungnahme.  

Breiter Konsens für „ex-post-Triage“ in Ausnahmesituationen

Der Gesetzesentwurf wird allerdings sowohl in der Stellungnahme der Fachgesellschaften als auch von Seiten der Rechts­wissenschaftler*innen (Federführung Tatjana Hörnle) kritisiert. Dies gilt insbesondere für das Verbot der so­ge­nann­ten „Ex-post-Triage“ – also der Möglichkeit, bei schlechten Erfolgsaussichten eine bereits laufende Intensivtherapie zu beenden, um andere Menschen mit besserer Erfolgsaussicht lebensrettend behandeln zu können. Anders als in der Diskussion bisweilen dargestellt, stelle dies keinen Tabubruch dar, so Georg Marckmann, Präsident der Akademie für Ethik in der Medizin. Vielmehr sprechen medizinische und ethische Gründe dafür, bei Zutei­lungs­ent­schei­dungen im Falle pandemiebedingt nicht ausreichender intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten alle Patientinnen und Patienten gleichermaßen einzubeziehen. „Wenn bereits zugeteilte intensivmedizinische Behandlungskapazitäten von den Zu­tei­lungs­ent­schei­dun­gen ausgenommen werden, wie dies der Referentenentwurf vorsieht, werden viele Menschen sterben, die Bedarf und eine realistische Chance auf ein Überleben haben. “, ergänzt die Strafrechtsprofessorin Tatjana Hörnle. Das Verfassungsrecht gibt nicht vor, dass nur die zufällig zuerst eintreffenden Patientinnen und Patienten behandelt werden dürften.


Um den notwendigen Austausch zu befördern, haben die Autor*innen der Stellungnahme kurzfristig eine öffentliche Online-Veranstaltungen zum Thema geplant.

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