Im Gespräch mit dem zukünftigen Ich
Prestigeträchtiger ERC Proof of Concept Grant für KI-gestützte Forschung am Max-Planck-Institut
Der Europäische Forschungsrat würdigt und fördert die richtungsweisende Arbeit des Kriminologen Jean-Louis van Gelder im Bereich Virtual Reality und bei der Entwicklung evidenz- und technologiebasierter Interventionen mit einem weiteren ERC Grant – dem vierten für die Abteilung Kriminologie am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht seit 2018. Das „YourFutureU“-Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Universität Leiden durchgeführt wird, setzt auf KI-Agenten, um die psychische Gesundheit zu stärken.
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Bahnbrechende Forschung liefert oft grundlegend neue Konzepte, um gesellschaftliche Herausforderungen anzugehen. Aber wie wird aus neuen Ideen echte Innovation? Die Proof of Concept (PoC) Grants des Europäischen Forschungsrats unterstützen Forschende dabei, ihre Ansätze auf den Prüfstand zu stellen.
Über eine solche Förderung dürfen sich nun Jean-Louis van Gelder, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht und Professor an der Universität Leiden, und sein Team freuen. In ihrem neuesten Projekt – „YourFutureU: An Intelligent Conversational Agent to Increase Future Orientation and Decrease Self-defeating Behavior“ – möchten die Forschenden auf dem Wissen aus bestehenden Projekten, die mit Virtual Reality (VR) und Smartphone-Apps arbeiten, aufbauen und die Erkenntnisse darüber vertiefen, wie Menschen zukunftsorientierter denken und selbstschädigendes Verhalten eindämmen können. Bereits entwickelte Avatare des eigenen zukünftigen Ichs sollen zu diesem Zweck zu KI-Agenten weiterentwickelt werden.
Was genau soll erforscht werden?
Die Grundprämisse klingt zunächst einmal einfach: Wer sich regelmäßig mit dem eigenen „zukünftigen Ich“ unterhält, baut eine psychologische Verbindung zu diesem Ich auf. Das hat eine beratende Funktion und regt zur Selbstreflektion an. App-User werden ermutigt, sich Gedanken über mögliche Konsequenzen zukünftiger Handlungen zu machen. So können sie vorausschauend denken und auf eine Art und Weise handeln, die über den Gegenwartsmoment hinausgeht, also Vergangenheit und Zukunft mit einbezieht. Verhalten, das nur einen kurzen Zeithorizont berücksichtigt, wird hingegen entgegengewirkt. Derartige Interventionen könnten sogar das Potenzial haben, depressive Gefühle zu reduzieren. Die Fähigkeit, sich von einer Situation zu distanzieren, wirkt sich jedenfalls positiv auf die Entscheidungsfindung aus.
Die Technologie hinter dieser Grundprämisse ist jedoch komplex. Die Forschenden werden durch künstliche Intelligenz (KI) gesteuerte Large Language Models (LLM, d. h. Sprachmodelle mit der Fähigkeit zur Textgenerierung) einsetzen. So wollen sie KI-Agenten entwickeln, die das um zehn Jahre ältere Ich der Versuchspersonen verkörpern und entsprechende Interaktionen bzw. Konversationen ermöglichen. „In der Praxis bedeutet das, dass wir benutzerspezifischen Input verwenden, um eine Hintergrundgeschichte, basierend auf der persönlichen Geschichte, zu erstellen. Diese Hintergrundgeschichte kann man sich wie eine Art synthetisches Gedächtnis vorstellen, das hochgradig personalisierte Gespräche zwischen der nutzenden Person und dem zukünftigen Ich ermöglicht, in denen die Personen sich wiedererkennen“, so Jean-Louis van Gelder.
Die wissenschaftliche und technische Expertise, die dazu nötig sind, liefern neben van Gelder Dr. Esther Mertens, Expertin im Bereich Verhaltensinterventionen, die klinische Psychologin Maggie Webb, und der Informatiker Janis Butz.
Warum ist diese Forschung wichtig?
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Auf der Ebene der Einzelperson birgt die genannte Herangehensweise das Potenzial, zukunftsorientiertes Denken zu verbessern. Das wiederum kann sich positiv auf akademische Leistungen, Zielerreichung und die Gesundheit auswirken. Besonders im Fokus der Forschenden steht die psychische Gesundheit, da eine wachsende Zahl an Forschungsergebnissen gezeigt hat, dass es das psychische Wohlbefinden steigert, wenn man in der Lage ist, die Zukunft mit zu berücksichtigen.
Auf gesellschaftlicher Ebene könnten entsprechende Interventionen dazu beitragen, Gesundheitskosten zu senken, Gesundheitsversorgung bezahlbarer zu machen und für weniger Kriminalität zu sorgen. Entsprechend ist auch die Entwicklung praktischer Lösungen im Dienste der Gesellschaft ein integraler Bestandteil des Forschungsprogramms der Abteilung für Kriminologie.
Was sind die nächsten Schritte?
Zunächst sollen die KI-Agenten „trainiert“ und getestet werden. Anschließend plant das Forschungsteam eine Reihe an Studien, um die Wirksamkeit zu untersuchen. Eine solche Studie soll sich dem Thema Prokrastination widmen, eine andere befasst sich mit dem psychischen Wohlbefinden.
„Zu den möglichen Marktanwendungen zählen eine eigenständige App, die sich auf das Thema Prävention konzentriert, sowie Add-Ons für die Behandlung, die von Therapeutinnen und Therapeuten gesteuert werden“, so Jean-Louis van Gelder. Das spannende neue Projekt ist an der Schnittstelle zwischen Verhaltensforschung und Informatik angesiedelt.