Eiskalte Psychopathen?

Wer seine Emotionen nicht kennt, kann sie nicht regulieren

14. Oktober 2024

Psychopathische Menschen haben große Schwierigkeiten oder sind gar unfähig, sich empathisch zu zeigen und ihre Emotionen zu regulieren. Einer neuen Studie des Freiburger Max-Planck-Forschers Matthias Burghart zufolge könnte dies damit zusammenhängen, dass diese Menschen an Alexithymie – umgangssprachlich auch emotionale Blindheit genannt – leiden.

Der Begriff Alexithymie ist ein künstlicher Begriff, der sich aus dem griechischen Wörtern a- (ohne), lexis (lesen) und thymos (Emotion) zusammensetzt und die Unfähigkeit eines Menschen meint, die eigenen Emotionen zu erkennen und zu beschreiben. Menschen mit Alexithymie haben die Tendenz, ihre Gefühle als rein körperliche Vorgänge wahrzunehmen. So wird emotionale Anspannung etwa als rein körperliches Unwohlsein oder Schmerz registriert.

Frühere Untersuchungen haben Alexithymie mit psychischen Problemen wie Depressionen und Angstzustände in Verbindung gebracht. „Untersuchungen in der klinischen Psychologie zeigen jedoch, dass die Fähigkeit, die eigenen Emotionen richtig zu identifizieren und zu verstehen, für das gesunde Funktionieren anderer emotionaler Fähigkeiten wie Empathie und Emotionsregulation unerlässlich ist. Für uns Wissenschaftler ergibt sich dadurch die Frage: Steht Psychopathie im Zusammenhang mit Alexithymie, und könnte dieser Zusammenhang (zumindest teilweise) die vielen anderen emotionalen Defizite erklären, die bei Psychopathie häufig beobachtet werden?“, erläutert Mathias Burghart, Postdoc am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg.

Um dieser Frage nachzugehen, führte Burghart zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Konstanz eine Befragung unter zwei Gruppen durch: einer stichprobenartig ausgesuchten Personengruppe aus der Allgemeinbevölkerung (315 Personen), die mit Hilfe von Aushängen, Flyern und Aufrufen in Sozialen Medien rekrutiert wurden, sowie einer aus 50 stationären Patientinnen und Patienten einer psychiatrischen Klinik umfassenden Gruppe. Bei dieser Gruppe handelte es sich um Patientinnen und Patienten aus vier verschiedenen Stationen der Klinik; alle haben sie gemeinsam, dass sie aufgrund von Straftaten, die unter Bedingungen wie verminderter Schuldfähigkeit oder Drogenabhängigkeit begangen wurden, in die forensische Klinik eingewiesen wurden.

Beide Gruppen füllten die in der psychologischen Forschung etablierten, folgenden Selbstbeurteilungsbögen aus:

  • die Triarchic Psychopathy Measure (TriPM) zur Bewertung psychopathischer Merkmale,
  • den Saarbrücker Persönlichkeitsfragebogen zur Messung von Empathie,
  • die Toronto Alexithymia Scale-20 zur Bewertung von Alexithymie und
  • den Emotion Regulation Questionnaire (ERQ) zur Bewertung von Emotionsregulationsstrategien.

Das Ergebnis: In der „forensischen Stichprobe“ wurden im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung signifikant höhere Werte der Merkmale Mut, Boshaftigkeit und Hemmungslosigkeit (boldness, meanness, and disinhibition) festgestellt. Diese Merkmale gelten als typisch psychopathische Züge.  Dieses Ergebnis ist schon aus früheren Studien bekannt und weist darauf hin, dass es in Gruppen von Straftätern aus forensischen Kliniken einen höheren Anteil an Menschen mit psychopathischen Symptomen gibt als in der Allgemeinbevölkerung.

Neu ist indes die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Personen mit starken psychopathischen Merkmalen tendenziell größere Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Emotionen zu erkennen und zu beschreiben (also an Alexithymie leiden); das wiederum trägt zu einem Mangel an Empathie und einer schlechten Emotionsregulation bei. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass therapeutische Maßnahmen zur Verbesserung des emotionalen Bewusstseins für Menschen mit Psychopathie hilfreich sein könnten. „Wenn diese Menschen es hinbekommen, ihre eigenen Emotionen zu erkennen und zu beschreiben, wird sich möglicherweise auch ihre Empathie und ihre Fähigkeit zur Emotionsregulation verbessern“, sagt Matthias Burghart. Im Idealfall könne man durch diesen Therapieansatz das Rückfallrisiko bei Straftätern verringern.

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