Sicherheitsgesetze auf dem Prüfstand

Institut erhält Zuschlag für „Überwachungsgesamtrechnung“

10. Januar 2024

Das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht hat vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) und des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) den Zuschlag für die wissenschaftliche Untersuchung der Sicherheitsgesetze in Deutschland erhalten. Ergebnis der Untersuchung wird eine Bestands­aufnah­me der bestehenden Befugnisse und eine Analyse ihrer tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen sein. Das Vorhaben, bekannt auch als „Überwa­chungs­gesamt­rechnung“, ist im derzeitigen Koalitionsvertrag vorgesehen.

Die Überwachungsgesamtrechnung umfasst eine rechts­wissen­schaftliche und empirische Untersuchung, die insbesondere auf­zei­gen soll, welche Auswirkungen die Überwachungsbefugnisse in den Sicherheitsgesetzen und deren praktische Anwendung auf Freiheit und Demokratie haben. „Die Überwachungsgesamtrechnung ist damit zugleich ein wichtiger Baustein der im Koalitionsvertrag vereinbarten Trendumkehr hin zu einer grundrechtsorientierten und evidenz­basier­ten Innen- und Rechtspolitik“, heißt es hierzu aus dem BMI. In einem freiheitlichen Rechtsstaat sei nicht nur die Verhältnismäßigkeit der einzelnen Überwachungsbefugnis entscheidend. Auch in der Gesamt­heit dürfe es kein Übermaß an Überwachung geben.

Die Überwachungsgesamtrechnung soll nach einer Bearbeitungszeit von einem Jahr abgeschlossen sein. Ein erster Zwischenbericht ist in einem halben Jahr vorgesehen. Das Projekt ist in der Abteilung Öffentliches Recht unter der Leitung von Ralf Poscher angesiedelt. Ralf Poscher hatte gemeinsam mit Senior Researcher Michael Kilchling bereits ein Modell eines sogenannten Überwachungsbarometers für Deutschland erstellt.

Erster Schritt: Überblick über die Datensammlungen

Hierfür verschafften sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zunächst einen Überblick über die Daten­samm­lungen, die es einzubeziehen gilt. Diese Über­wa­chungs­szena­rien reichen von der klassi­schen Tele­ko­m­mu­ni­ka­ti­ons­überwachung, über die Abfrage von Account-Daten bei Tele­medi­en­diensten bis hin zur an­lass­losen Vorratsdaten­speicherung von Kundendaten bei Banken zur Geldwäschekontrolle oder von Flugpassagierdaten zur Terroris­mus­bekämpfung.

Die Forschenden analysieren dann, welche Sicherheitsbehörden – BKA, Bundes- und Landespolizeien, Staats­anwalt­schaf­ten – auf Basis welcher rechtlichen Grundlagen Zugriff auf diese Daten haben und unter welchen rechtlichen Bedingungen der Zugriff überhaupt erfolgen kann. Erst so können sie die spezifischen Zugriffszahlen für jeden der ausgewählten Sachverhalte in einem bestimm­ten Beobachtungszeitraum ermitteln. Hierfür sammeln sie anonymisierte statistische Daten; sensible personen­bezo­ge­ne Informationen erhalten sie nicht.

Für ihr Forschungsprojekt haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Formel entwickelt, die die Anzahl der Zugriffe (quan­ti­ta­tive Komponente) ebenso wie ihren jeweiligen Intensitätswert (qualitative Komponente) berück­sich­tigt. „Auf diese Weise können wir die Überwachungslast nach einem einheitlichen Maßstab messen“, erklären die Projektbeteiligten. Bei der Untersuchung der Eingriffsintensität spielen Kriterien wie beispielsweise die Heimlichkeit einer Maßnahme, deren Anlass und Dauer eine Rolle, aber auch, ob die Überwachungsmaßnahme von einem Richter oder einer Richterin veranlasst werden muss.

Am Ende wird es einen detaillierten Überblick über die digitale Überwachung in Deutschland geben. Durch die perio­di­sche Anlage können in Zukunft auch die bisherige und die weitere Entwicklung ins­ge­samt und in den einzelnen Sektoren (Telekommunikations-, Finanztransaktions-, Mobilitätsdaten u. v. a. m.) regelmäßig verfolgt und sensible Bereiche identifiziert werden. Das Konzept ist so angelegt, dass es kontinuierlich erweitert werden kann. Perspektivisch könnte es auch zu einem EU-weiten Anschlussprojekt wei­ter­entwickelt werden, das dann den Vergleich des Überwachungsniveaus in verschiedenen Staaten erlaubt.



Publikationen

Ralf Poscher, Michael Kilchling, and Lukas Martin Landerer, "Überwachungsbarometer für Deutschland – Ein Modellkonzept", (2022).
Ralf Poscher and Michael Kilchling, "Wie lässt sich die Überwachung der Bürgerinnen und Bürger messen?," Deutsche Richterzeitung (3), 110-113 (2022).
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