Voraussetzungen einer effektiven Sanktionspolitik
Ein Beitrag von Senior Researcher Benjamin Vogel
Die Sanktionen gegen Russland stellen Behörden wie Privatwirtschaft vor erhebliche Herausforderungen. Daher ist es nun besonders wichtig, bestehende Defizite beim Vorgehen gegen illegale Finanzströme zu beseitigen.
Die nach dem Überfall auf die Ukraine verhängten Sanktionen, insbesondere das Einfrieren von Vermögen der russischen Zentralbank und die weitreichende Blockade vieler Wirtschaftssektoren, haben für Russland zweifelsohne gravierende Folgen. Dass damit jedoch die bezweckte politische Kursänderung erreicht wird, ist angesichts früherer Erfahrungen keinesfalls gesichert. Dies gilt selbst für den Fall, dass sich die internationale Staatengemeinschaft für einen Boykott von russischem Öl und Gas entscheidet. Denn sowohl die Effektivität in der Durchsetzung von Wirtschaftssanktionen als auch deren Wirkung auf politische Entscheidungsträger bleiben häufig weit hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück.
Mäßige Erfolge in der Vergangenheit
Die aktuell verhängten Sanktionen richten sich verstärkt gegen einflussreiche Unternehmer, die der russischen Regierung nahestehen. Damit wird grundsätzlich zutreffend erkannt, dass der Beziehung zwischen politischer Führung und diesen Unternehmern in einem oligarchisch strukturierten, auf Korruption und Vetternwirtschaft basierenden Staat zentrale Bedeutung zukommt. Derartige Maßnahmen können aber nur dann Erfolg haben, wenn es durch sie gelingt, die Interessen der wirtschaftlichen Eliten in einem Umfang zu gefährden, dass diese tatsächlich das Risiko eingehen, auf die politische Führung Druck auszuüben.

Gegenwärtig haben die beschlossenen Sanktionen aber insofern wohl noch keine kritische Masse erreicht. Zum einen ist letztlich immer noch nur eine überschaubare Gruppe von Personen unmittelbar betroffen, zum anderen ist das von russischen Oligarchen außerhalb des Landes angelegte Vermögen in weiten Teilen hinter Briefkastenfirmen, Mittelsmännern und in Steueroasen verborgen und mithin dem Zugriff von Sanktionen entzogen. Nach Schätzungen geht es um Summen im Wert von mehreren hundert Milliarden US-Dollar. Solange diese den Betroffenen weiterhin zur Verfügung stehen, ist kaum damit zu rechnen, dass sie sich von den Sanktionen nennenswert beeindrucken lassen. Mehr noch: Umfassende Sanktionen gegen ganze Volkswirtschaften stärkten in der Vergangenheit nicht selten den Einfluss staatsnaher Unternehmer. Durch ihre internationalen Geschäftsbeziehungen und ihr im Ausland verborgenes Vermögen sind sie in einer privilegierten Position, die es ihnen ermöglicht, heimischen Unternehmen das Umgehen der internationalen Sanktionen zu erleichtern und zugleich die unter Druck gekommene politische Führung sowie hochrangige Beamten mit ausländischen Devisen zu versorgen. Frühere Erfahrungen haben zudem gezeigt, dass autoritäre Staaten sehr wohl in der Lage sind, eine durch Wirtschaftssanktionen herbeigeführte Unzufriedenheit ihrer Gesellschaft mit brutaler Repression zu unterdrücken, ein Szenario, welches sich nunmehr auch in Russland abzeichnet.
Kernproblem Sanktionsumgehung
Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen ergeben sich zudem daraus, dass derartige Maßnahmen erfahrungsgemäß in weitem Umfang umgangen werden können. Grund dafür ist insbesondere eine ineffektive Umsetzung der Sanktionen durch westliche Unternehmen und Behörden, welchen es regelmäßig nicht gelingt, die Vermögen von sanktionierten Personen zu identifizieren und zeitnah auf Umgehungsstrategien zu reagieren. Russland hat seit der Krim-Annexion die wirtschaftliche Annäherung an China und eine Loslösung vom US-Dollar forciert. Dadurch können russische Unternehmen und Einzelpersonen über Umwege Zugang zum globalen Finanzmarkt erhalten. Es kommt folglich im Wesentlichen darauf an, inwieweit es dem Westen gelingt, einer solchen Umgehung der Sanktionen wirksam entgegenzutreten. Grundsätzlich ist nicht davon auszugehen, dass China die engen Beziehungen seiner Wirtschaft mit Europa und Nordamerika dem Handel mit einer vergleichsweise kleinen Volkswirtschaft wie der Russlands opfern würde. Zu einer solchen Interessenabwägung sind chinesische Unternehmen aber natürlich nur dann gezwungen, wenn westliche Staaten Versuche der Umgehung von Sanktionen regelmäßig aufdecken und die beteiligten Unternehmen ihrerseits sanktioniert werden. Gerade Deutschland mit seinen traditionell engen Wirtschaftsbeziehungen sowohl zu Russland als auch zu China ist insofern in besonderem Maße gefordert. Denn es muss einer der Sanktionsumgehung dienenden Verschiebung von Kapital- und Güterströmen entgegenwirken und seine vielfältigen Wirtschaftsbeziehungen im Interesse einer effektiven Sanktionspolitik entflechten. Dafür ist bestehenden Defiziten bei der Bekämpfung illegaler Finanzströmen spätestens jetzt dringend abzuhelfen. Fünf Bereiche erscheinen besonders wichtig.
Bedeutung von Sekundärsanktionen
Erstens gilt es, den Druck sowohl auf Personen zu erhöhen, die eine leitende Stellung in für die russische Wirtschaft wesentlichen Unternehmen bekleiden, als auch auf die ihnen nahestehenden Personen und Unternehmen. Eine einseitige Fokussierung auf jene in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Reichtum gekommenen Oligarchen greift viel zu kurz. Ein weiter geworfenes Netz würde nicht nur die Zahl der mit Putin Unzufriedenen innerhalb der russischen Wirtschaft mehren und damit Konflikte innerhalb der Eliten provozieren. Dadurch würden auch in größerem Umfang jene Unternehmer wirtschaftlich isoliert und als Geschäftspartner außerhalb Russlands untragbar gemacht werden, die durch ihre geschäftlichen Netzwerke im Ausland und ihre Stellung in staatsnahen Unternehmen besondere Möglichkeiten haben, die russische Wirtschaft beim Unterlaufen von Handels- und Finanzsanktionen zu unterstützen. Darüber hinaus sollten sich Sanktionen nicht nur gegen russische Personen und Unternehmen richten, sondern auch gegen Unternehmen in Drittstaaten. Hier ist angesichts seiner engen Vernetzung mit der russischen Wirtschaft zuvörderst Deutschland aufgerufen, im Rat der Europäischen Union zeitnah Vorschläge für die Sanktionierung weiterer Personen und Unternehmen zu unterbreiten.
Dialog mit der Privatwirtschaft
Zweitens muss die Umsetzung der Sanktionen durch die Behörden der EU-Staaten und die Privatwirtschaft effektiver werden. Insbesondere das Ausmaß der von Oligarchen außerhalb Russlands gehorteten Gelder legt nahe, dass es bis heute recht problemlos möglich ist, Vermögen hinter komplexen Beteiligungsstrukturen zu verbergen. Finanzdienstleister sind vielfach nicht in der Lage, einen Zusammenhang zwischen einer sanktionierten Person und einem als Kunde auftretenden Unternehmen zu erkennen. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf Geschäftsbeziehungen mit Korrespondenzbanken in solchen Drittstaaten, die Sanktionen gegen Russland nicht aktiv unterstützen. Es bedarf eines andauernden engen Dialogs zwischen Aufsichtsbehörden und Finanzdienstleistern, damit staatliche Erkenntnisse zu Strategien und Wegen der Sanktionsumgehungen zeitnah in die Geschäftspraxis der Privatwirtschaft einfließen. Ein hohes Maß an Effektivität lässt sich nur durch eine proaktive und dynamische Zusammenarbeit zwischen Behörden und Finanzdienstleistern erreichen, wobei vermehrt auch Güterhändler und Online-Dienstleister hinzuzuziehen sind.
Stärkung von Finanzanalysen
Drittens bedarf es auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene einer erheblichen Verbesserung der Analyse von internationalen Finanzströmen. Nur so können Fälle von Sanktions-umgehung häufiger aufgedeckt und aufsichtsrechtliche Maßnahmen gezielt eingesetzt werden. Eine Hauptverantwortung trifft insofern die für die Sammlung und Analyse von Finanzdaten zuständigen Financial Intelligence Units der EU-Staaten, die dazu den Informationsaustausch mit anderen Sicherheits- und Aufsichtsbehörden verstärken sollten. Genauer in den Blick zu nehmen sind auch Güterströme, die durch den Handel mit Drittstaaten der Umgehung von Sanktionen dienen könnten. Zur Ahndung von Sanktionsverstößen kommt zwar auch den Strafverfolgungsbehörden eine wichtige Rolle zu; eine effektive und datenschutzkonforme Sammlung und Analyse von grenzüberschreitenden Finanzdaten kann aber nicht allein durch Polizeibehörden geleistet werden, sondern bedarf flexibler Instrumente im Bereich der Aufsichtsbehörden und Nachrichtendienste.
Konsequente Umsetzung der Verbote
Viertens sollten Aufsichtsbehörden klar kommunizieren, wie mit Transaktionen und Kunden umzugehen ist, bei denen ein direkter Bezug zu sanktionierten Personen und Unternehmen nicht sofort zu erkennen ist. Je stärker Sanktionen die Interessen der russischen Elite tatsächlich bedrohen, umso größere Anstrengungen werden diese darauf verwenden, ihr Vermögen unsichtbar zu machen. Regelmäßig wird es daher für Finanzdienstleister und Güterhändler nicht zweifelsfrei erkennbar sein, ob ein Geschäft der Umgehung von Sanktionen dient. Zwar sollte nicht schon jeder vage Anhaltspunkt für Unregelmäßigkeiten automatisch zur Beendigung eines Geschäfts führen; Transaktionen sollten aber dann unterbleiben, wenn sich bei der Überprüfung des Kunden Anhaltspunkte für einen Bezug zu russischen Unternehmen ergeben und ein rechtmäßiger Zweck der Transaktion nicht zweifelsfrei belegbar ist. Ähnliche Regeln sollten auch für den Handel mit Kryptowährungen gelten. Denn schon jetzt deutet sich an, dass diese in Russland verstärkt zur Umgehung der Sanktionen genutzt werden. Auch hier gilt es Lücken umgehend zu schließen. Viele neue technologiebasierte Finanzdienstleister dürften noch nicht über zureichendes Knowhow und Ressourcen für eine wirksame Umsetzung der Sanktionen verfügen. Solange diese Defizite fortbestehen, sollten insbesondere umfangreiche Transaktion in Kryptowährungen bei einem Bezug zu Russland unterbleiben.
Vorgehen gegen korrupte „Türöffner“
Fünftens schließlich sei in Erinnerung gerufen, dass eine wesentliche Vulnerabilität in der Durchsetzung von Sanktionen von jenen „Türöffnern“ ausgeht, die sanktionierten Personen unter Verletzung ihrer gesetzlichen Sorgfaltspflichten dabei helfen, ihr Vermögen aus Russland heraus zu transferieren und im Ausland zu investieren. Daher hat sich in der Vergangenheit die Vorstellung, man können die Verhinderung illegaler Finanzflüsse und damit auch die Durchsetzung von Sanktionen allein der Privatwirtschaft überlassen, als großes Missverständnis erwiesen. Kernbestandteil einer jeden effektiven Sanktionspolitik ist ein robustes Vorgehen von Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden gegen jene Akteure, die sich insbesondere innerhalb der Finanzwirtschaft, in rechtsberatenden Berufen und im Immobiliensektor zum Zweck der Sanktionsumgehung korrumpieren lassen. Um entsprechende Verdachtsfälle besser aufdecken zu können, bedarf es auch in Deutschland einer Ausweitung der eingesetzten behördlichen Ressourcen und einer engen Abstimmung zwischen Financial Intelligence Unit und Aufsichtsbehörden.
Mitunter vollmundige politische Ankündigungen lassen leicht den Eindruck entstehen, die wirksame Umsetzung von umfassenden Sanktionen gegen Russland und insbesondere gegen Oligarchen seien praktisch ein Selbstläufer. Dass dem keineswegs so ist, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem bei der Bekämpfung der Geldwäsche gezeigt. Nicht erst seit der Aggression gegen die Ukraine lassen Diktatoren und Kriminelle aus aller Welt riesige durch Gewalt und Korruption erlangte Vermögenswerte nach Europa fließen, um sie hier in Ruhe genießen zu können und zugleich ihre Macht im Heimatland zu festigen. Es ist zu hoffen, dass das sich nunmehr in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ereignende Drama endlich dazu führt, dieses Problem in Gesellschaft und Politik ernst zu nehmen.