Voraussetzungen einer effektiven Sanktions­politik

Ein Beitrag von Senior Researcher Benjamin Vogel

30. März 2022

Die Sanktionen gegen Russland stellen Behörden wie Privatwirtschaft vor erhebliche Herausforderungen. Daher ist es nun besonders wichtig, bestehende Defizite beim Vorgehen gegen illegale Finanzströme zu beseitigen.

Die nach dem Überfall auf die Ukraine verhängten Sanktionen, insbesondere das Einfrieren von Vermögen der russi­schen Zentralbank und die weitreichende Blockade vieler Wirtschaftssektoren, haben für Russland zweifelsohne gra­vie­rende Folgen. Dass damit jedoch die bezweckte politische Kursänderung erreicht wird, ist angesichts früherer Erfah­run­gen keinesfalls gesichert. Dies gilt selbst für den Fall, dass sich die internationale Staatengemeinschaft für einen Boykott von russischem Öl und Gas entscheidet. Denn sowohl die Effektivität in der Durchsetzung von Wirtschafts­sank­ti­o­nen als auch deren Wirkung auf politische Entscheidungsträger bleiben häufig weit hinter den in sie gesetzten Erwartungen zurück. 

Mäßige Erfolge in der Vergangenheit

Die aktuell verhängten Sanktionen richten sich verstärkt gegen ein­flussreiche Unternehmer, die der russischen Regie­rung nahestehen. Damit wird grundsätzlich zutreffend erkannt, dass der Beziehung zwischen politischer Führung und diesen Unternehmern in einem oligarchisch strukturierten, auf Korruption und Vetternwirtschaft basierenden Staat zentrale Bedeutung zukommt. Derartige Maß­nah­men können aber nur dann Erfolg haben, wenn es durch sie gelingt, die Interessen der wirtschaftlichen Eliten in einem Umfang zu ge­fähr­den, dass diese tatsächlich das Risiko eingehen, auf die politische Führung Druck auszuüben.

Gegenwärtig haben die beschlossenen Sanktionen aber insofern wohl noch keine kritische Masse erreicht. Zum einen ist letztlich immer noch nur eine überschaubare Gruppe von Personen unmittelbar be­trof­fen, zum anderen ist das von russischen Oligarchen außerhalb des Landes angelegte Vermögen in weiten Teilen hinter Brief­kasten­firmen, Mittels­män­nern und in Steuer­oasen verborgen und mithin dem Zugriff von Sanktionen entzogen. Nach Schätzungen geht es um Summen im Wert von mehreren hundert Milliarden US-Dollar. Solange diese den Betroffenen weiterhin zur Verfügung stehen, ist kaum damit zu rechnen, dass sie sich von den Sanktionen nennenswert beein­dru­cken lassen. Mehr noch: Umfassende Sanktionen gegen ganze Volks­wirtschaften stärkten in der Vergangenheit nicht selten den Einfluss staats­naher Unternehmer. Durch ihre inter­nati­o­na­len Geschäfts­bezie­hun­gen und ihr im Ausland verborgenes Vermögen sind sie in einer privilegierten Position, die es ihnen ermöglicht, heimischen Unternehmen das Umgehen der internationalen Sanktionen zu erleichtern und zugleich die unter Druck gekommene politische Führung sowie hochrangige Beamten mit ausländischen Devisen zu versorgen. Frü­here Erfahrungen haben zudem gezeigt, dass autoritäre Staaten sehr wohl in der Lage sind, eine durch Wirtschafts­sankti­o­nen herbeigeführte Unzufriedenheit ihrer Gesellschaft mit brutaler Repres­sion zu unterdrücken, ein Szenario, welches sich nunmehr auch in Russland abzeichnet.

Kernproblem Sanktionsumgehung

Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen ergeben sich zudem daraus, dass derartige Maßnahmen erfahrungsgemäß in weitem Umfang umgangen werden können. Grund dafür ist insbesondere eine ineffektive Umsetzung der Sanktionen durch westliche Unternehmen und Behörden, welchen es regelmäßig nicht gelingt, die Vermögen von sanktionierten Personen zu identifizieren und zeitnah auf Umgehungsstrategien zu reagieren. Russland hat seit der Krim-Annexion die wirtschaftliche Annäherung an China und eine Loslösung vom US-Dollar forciert. Dadurch können russische Unter­neh­men und Einzelpersonen über Umwege Zugang zum globalen Finanzmarkt erhalten. Es kommt folglich im Wesentlichen darauf an, inwieweit es dem Westen gelingt, einer solchen Umgehung der Sanktionen wirksam entgegenzutreten. Grund­sätzlich ist nicht davon auszugehen, dass China die engen Beziehungen seiner Wirtschaft mit Europa und Nordamerika dem Handel mit einer vergleichsweise kleinen Volkswirtschaft wie der Russlands opfern würde. Zu einer solchen Inter­es­sen­abwägung sind chinesische Unternehmen aber natürlich nur dann gezwungen, wenn westliche Staaten Versuche der Umgehung von Sanktionen regelmäßig aufdecken und die beteiligten Unternehmen ihrerseits sanktioniert werden. Gerade Deutschland mit seinen traditionell engen Wirtschaftsbeziehungen sowohl zu Russland als auch zu China ist insofern in besonderem Maße gefordert. Denn es muss einer der Sanktionsumgehung dienenden Verschiebung von Kapital- und Güterströmen entgegenwirken und seine vielfältigen Wirtschaftsbeziehungen im Interesse einer effektiven Sanktionspolitik entflechten. Dafür ist bestehenden Defiziten bei der Bekämpfung illegaler Finanzströmen spätestens jetzt dringend abzuhelfen. Fünf Bereiche erscheinen besonders wichtig.

Bedeutung von Sekundärsanktionen 

Erstens gilt es, den Druck sowohl auf Personen zu erhöhen, die eine leitende Stellung in für die russische Wirtschaft wesentlichen Unternehmen bekleiden, als auch auf die ihnen nahestehenden Personen und Unternehmen. Eine ein­sei­ti­ge Fokussierung auf jene in den Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu Reichtum gekommenen Oli­gar­chen greift viel zu kurz. Ein weiter geworfenes Netz würde nicht nur die Zahl der mit Putin Unzufriedenen innerhalb der russischen Wirtschaft mehren und damit Konflikte innerhalb der Eliten provozieren. Dadurch würden auch in größerem Umfang jene Unternehmer wirtschaftlich isoliert und als Geschäftspartner außerhalb Russlands untragbar gemacht werden, die durch ihre geschäftlichen Netzwerke im Ausland und ihre Stellung in staatsnahen Unternehmen besondere Möglichkeiten haben, die russische Wirtschaft beim Unterlaufen von Handels- und Finanzsanktionen zu unterstützen. Darüber hinaus sollten sich Sanktionen nicht nur gegen russische Personen und Unternehmen richten, sondern auch gegen Unternehmen in Drittstaaten. Hier ist angesichts seiner engen Vernetzung mit der russischen Wirtschaft zu­vör­derst Deutschland aufgerufen, im Rat der Europäischen Union zeitnah Vorschläge für die Sanktionierung weiterer Personen und Unternehmen zu unterbreiten.

Dialog mit der Privatwirtschaft

Zweitens muss die Umsetzung der Sanktionen durch die Behörden der EU-Staaten und die Privatwirtschaft effektiver werden. Insbesondere das Ausmaß der von Oligarchen außerhalb Russlands gehorteten Gelder legt nahe, dass es bis heute recht problemlos möglich ist, Vermögen hinter komplexen Beteiligungsstrukturen zu verbergen. Finanz­dienst­leister sind vielfach nicht in der Lage, einen Zusammenhang zwischen einer sanktionierten Person und einem als Kunde auftretenden Unternehmen zu erkennen. Dies gilt nicht zuletzt im Hinblick auf Geschäftsbeziehungen mit Korrespon­denz­banken in solchen Drittstaaten, die Sanktionen gegen Russland nicht aktiv unterstützen. Es bedarf eines an­dau­ern­den engen Dialogs zwischen Aufsichtsbehörden und Finanzdienstleistern, damit staatliche Erkenntnisse zu Strategien und Wegen der Sanktionsumgehungen zeitnah in die Geschäftspraxis der Privatwirtschaft einfließen. Ein hohes Maß an Effektivität lässt sich nur durch eine proaktive und dynamische Zusammenarbeit zwischen Behörden und Finanzdienst­leistern erreichen, wobei vermehrt auch Güterhändler und Online-Dienstleister hinzuzuziehen sind.

Stärkung von Finanzanalysen

Drittens bedarf es auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene einer erheblichen Verbesserung der Analyse von in­ter­nationalen Finanzströmen. Nur so können Fälle von Sanktions-umgehung häufiger aufgedeckt und auf­sichts­recht­liche Maßnahmen gezielt eingesetzt werden. Eine Hauptverantwortung trifft insofern die für die Sammlung und Analyse von Finanzdaten zuständigen Financial Intelligence Units der EU-Staaten, die dazu den Informationsaustausch mit an­de­ren Sicherheits- und Aufsichtsbehörden verstärken sollten. Genauer in den Blick zu nehmen sind auch Güterströme, die durch den Handel mit Drittstaaten der Umgehung von Sanktionen dienen könnten. Zur Ahndung von Sanktionsverstößen kommt zwar auch den Strafverfolgungsbehörden eine wichtige Rolle zu; eine effektive und datenschutzkonforme Samm­lung und Analyse von grenzüberschreitenden Finanzdaten kann aber nicht allein durch Polizeibehörden geleistet werden, sondern bedarf flexibler Instrumente im Bereich der Aufsichtsbehörden und Nachrichtendienste.

Konsequente Umsetzung der Verbote

Viertens sollten Aufsichtsbehörden klar kommunizieren, wie mit Transaktionen und Kunden umzugehen ist, bei denen ein direkter Bezug zu sanktionierten Personen und Unternehmen nicht sofort zu erkennen ist. Je stärker Sanktionen die Interessen der russischen Elite tatsächlich bedrohen, umso größere Anstrengungen werden diese darauf verwenden, ihr Vermögen unsichtbar zu machen. Regelmäßig wird es daher für Finanzdienstleister und Güterhändler nicht zweifelsfrei erkennbar sein, ob ein Geschäft der Umgehung von Sanktionen dient. Zwar sollte nicht schon jeder vage Anhaltspunkt für Unregelmäßigkeiten automatisch zur Beendigung eines Geschäfts führen; Transaktionen sollten aber dann unter­blei­ben, wenn sich bei der Überprüfung des Kunden Anhaltspunkte für einen Bezug zu russischen Unternehmen ergeben und ein rechtmäßiger Zweck der Transaktion nicht zweifelsfrei belegbar ist. Ähnliche Regeln sollten auch für den Handel mit Kryptowährungen gelten. Denn schon jetzt deutet sich an, dass diese in Russland verstärkt zur Umgehung der Sank­tionen genutzt werden. Auch hier gilt es Lücken umgehend zu schließen. Viele neue technologiebasierte Finanz­dienst­leister dürften noch nicht über zureichendes Knowhow und Ressourcen für eine wirksame Umsetzung der Sanktionen verfügen. Solange diese Defizite fortbestehen, sollten insbesondere umfangreiche Transaktion in Kryptowährungen bei einem Bezug zu Russland unterbleiben.

Vorgehen gegen korrupte „Türöffner“

Fünftens schließlich sei in Erinnerung gerufen, dass eine wesentliche Vulnerabilität in der Durchsetzung von Sanktionen von jenen „Türöffnern“ ausgeht, die sanktionierten Personen unter Verletzung ihrer gesetzlichen Sorgfaltspflichten dabei helfen, ihr Vermögen aus Russland heraus zu transferieren und im Ausland zu investieren. Daher hat sich in der Vergan­gen­heit die Vorstellung, man können die Verhinderung illegaler Finanzflüsse und damit auch die Durchsetzung von Sank­tionen allein der Privatwirtschaft überlassen, als großes Missverständnis erwiesen. Kernbestandteil einer jeden effek­ti­ven Sanktionspolitik ist ein robustes Vorgehen von Strafverfolgungs- und Aufsichtsbehörden gegen jene Akteure, die sich insbesondere innerhalb der Finanzwirtschaft, in rechtsberatenden Berufen und im Immobiliensektor zum Zweck der Sanktionsumgehung korrumpieren lassen. Um entsprechende Verdachtsfälle besser aufdecken zu können,  bedarf es auch in Deutschland einer Ausweitung der eingesetzten behördlichen Ressourcen und einer engen Abstimmung zwischen Financial Intelligence Unit und Aufsichtsbehörden.

Mitunter vollmundige politische Ankündigungen lassen leicht den Eindruck entstehen, die wirksame Umsetzung von umfassenden Sanktionen gegen Russland und insbesondere gegen Oligarchen seien praktisch ein Selbstläufer. Dass dem keineswegs so ist, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vor allem bei der Bekämpfung der Geldwäsche ge­zeigt. Nicht erst seit der Aggression gegen die Ukraine lassen Diktatoren und Kriminelle aus aller Welt riesige durch Gewalt und Korruption erlangte Vermögenswerte nach Europa fließen, um sie hier in Ruhe genießen zu können und zugleich ihre Macht im Heimatland zu festigen. Es ist zu hoffen, dass das sich nunmehr in unserer unmittelbaren Nachbarschaft ereignende Drama endlich dazu führt, dieses Problem in Gesellschaft und Politik ernst zu nehmen.


Literatur

Vogel, B. (2020). The anti-money laundering architecture of Germany. In B. Vogel & J.-B. Maillart (Hrsg.), National and international anti-money laundering law: developing the architecture of criminal justice, regulation and data protection (S. 157–301). Cambridge; Antwerp; Chicago: Intersentia.
Vogel, B., & Maillart, J.-B. (Hrsg.). (2020). National and international anti-money laundering law: developing the architecture of criminal justice, regulation and data protection. Cambridge; Antwerp; Chicago: Intersentia.
Benjamin Vogel, "Targeted Sanctions against Economic Wrongdoing at the UN and EU Level," Revue Internationale de Droit Pénal 90 (2), 129-157 (2019).

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