Nehmen Menschen andere als ähnlich zu sich selbst wahr?
Studie untersucht, inwiefern man eigene Eigenschaften in anderen sieht
Menschen neigen dazu, anderen Menschen Eigenschaften zuzuschreiben, die mit ihrem eigenen Wertesystem übereinstimmen. Sie nehmen also an, dass andere ihre Werte teilen. Anders als in mancher Forschung vermutet, hat das aber nichts damit zu tun, dass wohlwollende Personen schlicht andere Menschen wohlwollender beurteilen. Das geht aus dem Artikel Trait-specificity versus global positivity: A critical test of alternative sources of assumed similarity in personality judgments von Forschungsgruppenleiterin Isabel Thielmann hervor. Die Publikation wurde jüngst vom renommierten Journal of Personality and Social Psychology angenommen.

In unserem sozialen Alltag stehen wir ständig vor der Aufgabe, andere – auch fremde – Menschen zu beurteilen. Aus der bisherigen Forschung wissen wir, dass Menschen andere als ähnlich zu sich selbst wahrnehmen, zumindest in Bezug auf bestimmte Merkmale. Diese sogenannte „angenommene Ähnlichkeit“ (“Assumed Similarity”) wurde bislang in der psychologischen Forschung so erklärt, dass Menschen ihre eigenen Eigenschaften in anderen sehen, sie also auf andere projizieren. Eine alternative Erklärung, die aus neuerer Forschung hervorgeht, wäre, dass wohlwollendere Menschen andere generell wohlwollender – d. h. positiver – beurteilen, ohne dabei tatsächlich ihre eigenen (wohlwollenden) Eigenschaften auf andere zu projizieren. In diesem Fall würde “Assumed Similarity” bei der Beurteilung anderer schlicht durch die generelle Tendenz, andere als mehr oder weniger positiv wahrzunehmen, erklärt werden können – und hätte nichts mit genuin wahrgenommener Ähnlichkeit zu tun.
Diese alternative Erklärung hat ein Team um Isabel Thielmann, Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, nun in zwei groß angelegten Studien mit fast 6.000 Teilnehmer*innen wissenschaftlich überprüft – und ausgeschlossen. Für die Studien wurden die Teilnehmenden zunächst gebeten, sich – anhand einer vorgegebenen Liste von Adjektiven – selbst zu beschreiben. Danach wurden ihnen Screenshots von Social-Media-Profilen oder Videos verschiedener Personen gezeigt, die sie mit Hilfe derselben Adjektive beurteilen sollten. Die Ergebnisse dieser Studien machen deutlich: Menschen nehmen in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit zwischen sich selbst und anderen wahr. Diese Ähnlichkeitseffekte zeigen sich v. a. bei Merkmalen, die stark mit universellen Werten verbunden sind, wie z. B. Ehrlichkeit. Angenommene Ähnlichkeit scheint demnach ein robustes Phänomen zu sein, das nicht dadurch erklärt werden kann, dass wohlwollende Personen einfach nur andere Menschen wohlwollender beurteilen.
Thielmann, I., Rau, R., & Locke, K. D. (in press). Trait-specificity versus global positivity: A critical test of alternative sources of assumed similarity in personality judgments. Journal of Personality and Social Psychology.
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