Sicher leben in der Stadt der Zukunft
24. Berliner Kolloquium (Hybrid-Veranstaltung)
- Veranstaltung ABGESAGT
- Datum: 26.10.2022
- Uhrzeit: 09:30 - 17:45
- Ort: Karl Storz Besucher- und Schulungszentrum, Berlin
- Gastgeber: Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht, Abteilung Öffentliches Recht
- Kontakt: m.kilchling@csl.mpg.de

Urbanisierung ist ein zentraler Aspekt der gesellschaftlichen Entwicklung in unserem Jahrhundert. Das rasante Wachstum der Megacitys in vielen Weltregionen belegt diesen Trend ebenso wie die Entwicklung städtischer Ballungszentren und ganzer Metropolregionen in Deutschland und Europa. Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahr 2050 bis zu zwei Drittel aller Menschen in Städten leben werden. Diese Entwicklung ist eng verknüpft mit Fragen der urbanen Sicherheit. Sicherheitsaspekte begleiten und prägen die Entwicklung und Entfaltung städtischen Lebens seit jeher. Für die zukünftige Entwicklung des städtischen Lebens werden ganz verschiedene Aspekte prägend sein wie die sich mutmaßlich weiter beschleunigende gesellschaftliche Transformation sowie die wirtschaftliche und technologische Entwicklung. Die damit verbundenen Konflikt- und Gefahrenpotenziale und die mitunter ambivalenten Einstellungen in der Öffentlichkeit gegenüber modernen Sicherheitstechnologien setzen Fragestellungen der urbanen Sicherheit mit zunehmender Dringlichkeit auf die Agenda von Wissenschaft und Politik. Sicherheitsforschung und Stadtforschung haben sich dementsprechend zu zwei bedeutenden Bereichen der Wissenschaft entwickelt: Eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen und ganz unterschiedlicher, auch neuer Forschungsbereiche befassen sich mit den Visionen und den Bedingungen und Herausforderungen für ein sicheres und lebenswertes Umfeld in der Stadt der Zukunft.
Urbane Sicherheit hat viele Facetten. Das Programm bemüht sich um einen multi-disziplinären Einblick in das weite Spektrum relevanter Fragestellungen. Die einzelnen Beiträge konzentrieren sich auf einige exemplarische Aspekte und Kernbereiche urbaner Sicherheit, die wesentlich sind für die Sicherheit und das Wohlbefinden von Bewohnerinnen und Bewohnern, sowie auf wichtige Akteure und Strategien, die für die Gewährleistung von Sicherheit verantwortlich sind oder dazu beitragen können oder müssen.
Nach einer Einführung in das Programm von Ralf Poscher soll Richard Sennett, einer der weltweit führenden Stadtsoziologen, als Keynote Speaker zunächst Ideen für eine Ethik der lebenswerten Stadt der Zukunft präsentieren, die er in seinem auch ins Deutsche übersetzten Schlüsselwerk "Die offene Stadt" (München 2018) entwickelt hat.
Im Anschluss sollen sodann einige Aspekte, die aus heutiger Sicht von maßgeblicher Bedeutung für die urbane Sicherheit sind und sein werden, vertiefend beleuchtet werden. Kriminalität ist dabei in der öffentlichen Wahrnehmung eines der zentralen Probleme und ein bedeutsamer Angstfaktor. Es soll erläutert werden, weshalb in diesem Bereich nicht nur und nicht so sehr die objektive Sicherheitslage, sondern vor allem auch subjektiv ganz unterschiedlich wahrgenommene Bedrohungsszenarien die Lebensqualität der Bürgerschaft beeinflussen: urbane Sicherheit ist maßgeblich auch 'gefühlte' Sicherheit (Thema 1). Die – objektive und subjektive – Lebensqualität korreliert maßgeblich mit den ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen (Thema 2). Ethnische und soziale Segregation, Gentrifizierung, Zuzugsdruck und Verdrängung wirtschaftlich schwacher Gruppen sind prägend für die Lebenssituation in zahlreichen Ballungsräumen; andere städtische Regionen sind demgegenüber durch wirtschaftlichen Strukturwandel und dessen Folgen geprägt, für die sinnbildlich Leerstand und Verwahrlosung des öffentlichen Raums stehen. Beide Entwicklungen haben maßgeblichen Einfluss auf die zukünftige städtische Entwicklung, und es gibt zahlreiche Wechselwirkungen. So gilt urbane Sicherheit etwa auch als ein Standortfaktor für die Wirtschaft. Ein weiterer wichtiger Aspekt urbaner Sicherheit betrifft die Bedeutung von Mobilität und Infrastruktur (Thema 3). Mobilität ist eine zentrale Ressource städtischer Lebensqualität, und darauf bezogene, auch widerstreitende Bedürfnisse produzieren vermehrt Verteilungskonflikte um den verfügbaren (Straßen-) Raum. Weitere Fragestellungen zur Infrastruktur betreffen einerseits die Versorgungsicherheit, andererseits die potenziellen Gefahren, die von risikobehafteten (Industrie-) Anlagen und anderen kritischen Einrichtungen ausgehen. Forschungen zur Resilienz befassen sich mit den potenziell schwerwiegenden Folgen eines Ausfalls, Unfalls oder möglichen Anschlags auf solche Infrastrukturen. Abschließend soll in diesem Block auch die zunehmende Bedeutung von Freizeitaktivitäten und kulturellen Großereignissen für das Leben und das Lebensgefühl in der Stadt thematisiert werden (Thema 4). Trends wie die "Festivalisierung" der Städte haben nicht nur Bedeutung für den Freizeitwert ganzer städtischer Regionen; zugleich generieren sie auch neue Gefährdungssituationen. Neben Freizeitveranstaltungen, namentlich große Sport- und Musikevents, werden aber auch politische Kundgebungen und Auseinandersetzungen konkurrierender gesellschaftlicher Gruppen im öffentlichen Raum häufiger und entwickeln jeweils spezifische Sicherheitsrelevanz. Entsprechende Krisenszenarien werden auch in der modernen Panikforschung bearbeitet. Zunehmendes Konfliktpotenzial im gesellschaftlichen Alltag ist ferner mit dem veränderten Freizeitverhalten infolge der Veränderung von Jugendkulturen oder der ethnischen und sozialen Diversifizierung verbunden.
Einer der wichtigsten Akteure für die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung und die Vermittlung von positivem Sicherheitsempfinden ist die Polizei (Thema 5). Sie bestimmt maßgeblich das allgemeine Vertrauen in die Rechtsordnung. Gesellschaftliche Veränderungen bringen neue Herausforderungen für die Rolle der Polizei und ihr Aktions- und Reaktionsprofil mit sich, die eine permanente Weiterentwicklung der polizeilichen Interventionskonzepte, die gleichermaßen Effektivitäts- wie Rechtsstaatlichkeitserfordernissen gerecht werden, verlangen. Als ein wesentliches Instrument zur Verbesserung der objektiven wie der subjektiven Sicherheit werden mit Intensität technologische Überwachungssysteme entwickelt und weiterentwickelt, die in Zukunft Gefahren auch autonom erkennen und Sicherheitsmaßnahmen steuern können. In China ist diese Entwicklung in aller ihrer Ambivalenz besonders weit fortgeschritten; das Land gilt dabei zugleich als mögliches Zukunftsmodell wie auch als problematisches Beispiel für eine zum Totalitären tendierende Kontrolle, die, jedenfalls hierzulande, mehr Ängste auszulösen vermag als sie möglicherweise zu vermindern in der Lage wäre. Doch setzt selbst die Volksrepublik nach wie vor auch auf das herkömmliche Konzept der Polizeistreifen; in einem Pilotprojekt in der serbischen Hauptstadt Belgrad sollen gemischte Streifen das Sicherheitsgefühl chinesischer Touristengruppen erhöhen (Thema 6). Der Schlussbeitrag greift einige der zuvor angesprochenen Aspekte noch einmal auf und beleuchtet, wie die Kommunalpolitik diesen und anderen Herausforderungen begegnet (Thema 7). Diese ist als primäre Repräsentationsinstanz der Bürgerschaft ebenfalls ein zentraler Akteur für die Gestaltung des städtischen Lebensumfeldes. Urbane Sicherheit kann in Anbetracht der oft begrenzten rechtlichen Spielräume und finanziellen Ressourcen auch als Verteilungsproblem verstanden werden. Stadtraumgestaltung, kommunale Kriminalprävention und weitere innovative Konzepte für die Gewährleistung von Sicherheit und Sicherheitsempfinden auch in sozialen Brennpunkten und prekären städtischen Räumen werden vorgestellt.